Hohe Dunkelziffer bei Gewalt in der Pflege

Saarbrücken · Für Patienten, Angehörige und Pflegende ist Gewalt in ambulanten oder stationären Einrichtungen oft ein Tabuthema. Was zur Prävention fehlt, sind nach Ansicht von Pflegeexperten verlässliche Zahlen und Strategien.

Der Skandal ging 2012 durch alle Medien: Zwei Altenpfleger im Awo-Seniorenzentrum Elversberg demütigten und misshandelten Patienten . Die Empörung darüber war groß - doch Gewalt durch Pflege in ambulanten und stationären Einrichtungen scheint auch heute noch in hoher Dunkelziffer vorzukommen. Das stellten die Referenten bei der gestrigen Fachtagung "Gewalt durch Pflege" der Saarländischen Pflegegesellschaft (SPG) in Saarbrücken fest. Zwischen elf und 29 Prozent aller Heimbewohner hätten nach eigenen Aussagen bereits Gewalt erfahren, berichtete der Gesundheitswissenschaftler und Pflegeberater Siegfried Huhn und bezog sich dabei auf mehrere internationale Studien.

Das Problem: Es gibt immer noch zu wenig verlässliche Zahlen, Fakten und Untersuchungen über Gewalt in der Pflege. Das macht es schwer, sie bei ihren Wurzeln zu packen und verlässliche Strategien dagegen zu entwickeln. "Wir wissen, dass wir relativ wenig wissen - das aber genau", fasst SPG-Vorsitzender Harald Kilian zusammen. So ist auch die Anzahl von Beschwerden über Gewalt in saarländischen Pflegeheimen unklar. Oliver Wermann, leitender Arzt der Bereichsleitung Pflege beim Medizinischen Dienst (MDK) der Krankenversicherung im Saarland, verwies auf die wachsende Anzahl anonymer Beschwerden beim MDK. Auch Kerstin Schikora, die Leiterin der Heimaufsicht im saarländischen Sozialministerium, berichtete, dass die Anzahl der anonymen Beschwerden gestiegen sei. Ein Signal, das sowohl auf eine hohe Dunkelziffer als auch auf Angst vor noch mehr Gewalt gegen die Betroffenen hindeutet. Schikora ergänzte: "Im Saarland gibt es im Vergleich zu anderen Bundesländern viele Fixierungen." Wermann berichtete hier sogar von einem traurigen ersten Platz: "Im Saarland haben wir die höchste Zahl an Anträgen auf freiheitsentziehende Maßnahmen." Jürgen Bender, Pflegebeauftragter des Saarlands, sagte: "Im Saarland gibt es Nachholbedarf - wie Schulungen, die Alternativen zu solchen Maßnahmen aufzeigen."

SPG-Vorsitzender Kilian forderte einen offensiveren Umgang mit Gewalterfahrungen durch Pflegende. Gesundheitswissenschaftler Huhn sieht als ersten Schritt zur Verbesserung bereits einen offeneren Umgang mit Gewalt , zumindest bei Pflegeeinrichtungen und dem Pflegepersonal. "Nur wenn wir Bescheid wissen, können wir auch etwas verändern", sagte er. Die Rahmenbedingungen in den Einrichtungen selbst müssten zudem besser werden- etwa durch einen höheren Personalschlüssel, qualifizierteres Fachpersonal und Programme, um überlastete Mitarbeiter zu stärken. Auch die einjährige Ausbildung zum Pflegehelfer müsse verbessert werden.

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HintergrundLaut einer Studie des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2012 berichteten 40 Prozent aller befragten Pflegekräfte, an sich selbst innerhalb eines Jahres gewalttätiges Verhalten gegenüber Patienten beobachtet zu haben. Als häufigste Form nannten sie verbale Aggression wie Anschreien oder Bedrohen. Am zweithäufigsten kam pflegerische Vernachlässigung vor, zum Beispiel das absichtliche Wartenlassen eines Patienten auf Hilfe. em

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