„Hilletje Jans“, eine schaurig-schöne Moritat

Saarbrücken · Durch und durch gelungen: Premiere in der privaten Schauspielschule Acting and Arts

 Hilletje (Birgit Knerr) am Pranger, Davor Julia Velten und Christina Diener (von links) . Foto: Jean M. Laffitau

Hilletje (Birgit Knerr) am Pranger, Davor Julia Velten und Christina Diener (von links) . Foto: Jean M. Laffitau

Foto: Jean M. Laffitau

Ach Gott, wie furchtbar ist das denn: "Jetzt magst du heulen, kleine Hilletje" trällern die Totengräber und Friedhofsbesucher und der Herr Pfarrer quietschfidel am Grab von Hilletjes ertrunkenen Eltern. Die siebenjährige Waise steht wie vom Blitz gerührt da, so zart, so blass, barfuß und mutterseelenallein, und diese abscheulichen Menschen machen sich noch lustig über die Kleine, die ihre zwei hässlichen Stoffpüppchen umklammert hält. Starker Tobak - und so gar nicht politisch korrekt, dieses Märchen, das sieben Studenten der Acting and Arts Schauspielschule Saarbrücken am Sonntag aufführten.

Doch es kommt noch schlimmer - oder auch besser, je nachdem, wie zartbesaitet man als Zuschauer ist: Denn Autor Ad de Bont führt einen ohne viel Federlesens in seine Heimat Niederlande des 18. Jahrhunderts, wo Todesstrafe, Spinnhaus, Prostitution, endlose Saufgelage und die Benutzung des "Kackstuhls" nebst anschließender Reinigung durch niederes Dienstpersonal ebenso stinknormal waren wie die affektierte Galanterie der feinen Gesellschaft.

Da wird halt mal gemordet, "aus Versehen", und der unschuldigen Hilletje (Birgit Knerr) in die nicht vorhandenen Schuhe geschoben. Sie büßt die Strafe ab, wird mangels Beichtfreudigkeit vom bigotten Priester (Moritz Spang) zwischendurch noch schnell zur Hölle und den Protestanten gejagt, schuftet später bei der miesen Tante (Christina Diener) in deren noch mieseren Spelunke und heuert schließlich aus lauter Verzweiflung in Männerkleidern als Leichtmatrose auf einem Schiff an.

Irgendwie scheint ihr das raue Seemannsleben zu liegen. Hilletje dient sich als Jan Hille bis zum vielgeschätzten Kapitän hoch, heiratet dann aber aus kaum nachvollziehbaren Gründen ein dummes, albernes Ding und wird in Folge dessen vom Schultheiß (Sebastian Dechent) fast am Galgen aufgeknüpft. Wäre da nicht ein Prinz (Christian Heß), der Hilletje quasi "entdeckt" und als Heldin bei Hofe einführt.

So die Kurzfassung eines spannend-turbulenten, hinreißend gespielten Theaterstücks mit viel Slapstick-artigem Humor und genialen Einfällen - darunter eine lebende Galionsfigur -, das auf jeder großen Bühne Bestand hätte.

Dabei, und das vergisst man zwischendurch völlig, sind es alles Laien, die hier ihr Können zeigen. Allein das Erzählerpaar in seinen feschen Komödianten-Kleidern - Julia Velten und Sebastian Kunzler, sie Ex-Absolventin des Orientierungsjahres, er aktueller Absolvent - agieren mit einem heiteren Selbstverständnis und einer natürlichen Präsenz, die staunen lässt.

"Wir sind sehr stolz auf diese Klasse", nickt Schulleiterin Petra Lamy. Alles richtig gemacht, schon wieder, und das in nur sieben Monaten mit 400 Unterrichtsstunden. Ein dickes Lob also für die Dozenten, allen voran Ingo Fromm. Der ist Regisseur, Komponist der eingängigen, die Derbheit des Spielgeschehens sanft nivellierenden Gitarrenmelodien und an der Seite von Gitarrist Daniel Osorio auch noch Interpret derselben in einer Person.

Die Auswahl des Stücks sei extrem schwierig gewesen, so Fromm: Von wegen man gibt "Drei Frauen plus vier Männer " in die Suchmaschine ein und bekommt das passende Stück ausgespuckt. Erst knapp vor Weihnachten fiel die Entscheidung. Dann begann der Wettlauf mit der Zeit: "Wir hatten keine Kostüme, kein Bühnenbild", dafür aber ein gewisses Leistungsgefälle in der Truppe. So gesehen könnte man sie als Integrationsklasse bezeichnen, meint Fromm, der auch regelmäßig an Waldorfschulen inszeniert.

Letztlich haben die Routinierteren die Unerfahrenen mitgetragen - hin zu Leistungen, welche die Angehörigen oft sprachlos machen: "Wir wussten gar nicht, was in unserem Kind steckt", sei da oft zu hören, erzählt Petra Lamy und ist sich sicher: "Unsere Schüler nehmen viel mit von hier." Das Publikum aber auch.

"Das besondere Leben der Hilletje Jans", ein Schauspiel mit Musik für große und kleine Menschen ab zehn Jahren, wird (mindestens) noch einmal am 25. Mai im Rahmen des Jugendtheatertags bei Acting and Arts gezeigt. Bewerben kann man sich ab sofort für das Orientierungsjahr Oja! 2017/18, das am 1. September startet. Fest steht auch schon, wer die finale Oja!-Aufführung des nächsten Jahrgangs inszenieren wird: die Autorin und Regisseurin Eveline Sebaa. Mehr Infos unter www.acting-and-arts.com , Telefon (0681) 709 777 30.

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