Heute bei mir, morgen bei Finn

Saarbrücken · Wie lange soll der Streik noch gehen? Diese Frage beschäftigt viele Eltern und Erzieher. Familien organisieren sich derzeit mühevoll und eine Erzieherin im Streik zeigt Mitgefühl trotz hartnäckigen Widerstands.

 Im Garten von Luisa Mertiny: (von links) Finn, Maxim, Leonard, Marlene und Frida. Foto: Rich Serra

Im Garten von Luisa Mertiny: (von links) Finn, Maxim, Leonard, Marlene und Frida. Foto: Rich Serra

Foto: Rich Serra

Viele kleine Schuhe liegen im Eingangsbereich von Luisa Mertinys Wohnung. Dabei hat sie selbst nur zwei Kinder. Im Esszimmer hat ein Mädchen bunte Knete auf dem Tisch ausgebreitet, als ein Junge die Treppen hinunterstürmt und sich bei Mama über den Freund beschwert, der das Spielzeug offenbar nicht teilen will. Und schon taucht die Kleinste der Gruppe auf, mit einem Carrera-Auto in der Hand, was Mama ihr gleich aus den Fingern nimmt, bevor sie es kaputt macht. "Wie ein Haufen Ameisen", sagt Luisa Mertiny. Sie hat ihre Augen überall. Die vom Erzieher-Streik Betroffene hat drei weitere Kinder aufgenommen und organisiert die Kinderbetreuung gemeinsam mit weiteren Eltern der Kita Bruchwiese in dieser zweiten Streikwoche privat.

Kinder, die sie sonst mal zwei Stunden am Wochenende sehe, hat sie diesmal den ganzen Tag um sich. Bisher schlagen sich scheinbar alle wacker. Doch "es geht an die Substanz", sagt die zweifache Mutter und sie fürchtet, dass die Stimmung langsam kippen könnte. Grundsätzlich habe sie Verständnis für die Streikenden, "aber ich frage mich, wie lange man dieses Verständnis noch ausreizen kann". Der Streik schade den Kindern und sie findet, dass er derzeit auf den Rücken der Eltern ausgetragen werde. Die einen nehmen Urlaubstage, um Kinder zu betreuen, andere leisten sich Tagesmütter. Mertiny fände es fair, wenn die Stadt zumindest den Anteil der Gebühren, der die derzeit eingesparten Personalkosten der Erzieher und Erzieherinnen ausmacht, an die Eltern zurückzahlen würde. Bei der Stadt sind laut Pressesprecher Thomas Blug "etwas mehr als 30 Anfragen wegen Rückerstattung eingegangen". Doch "einen Rechtsanspruch auf Rückerstattung gibt es nicht", erklärt er. Die Arbeitgeber treffe im Streikfall keine Schuld, wenn Leistungen nicht erbracht werden. Oberbürgermeisterin Charlotte Britz teilte in der Stadtratsitzung gestern Abend mit, dass es sich bei einer solchen Rückzahlung um eine "freiwillige Ausgabe" handele. Ob es rechtlich überhaupt möglich ist, Kita-Gebühren zu erstatten, habe sie nun Innenminister Klaus Bouillon in einem Brief gefragt.

Mertiny denkt derweil über die Organisation in der nächsten Woche nach. Nicht alle Eltern können einen Tag freimachen, nicht alle haben die Kapazitäten, viele Kinder unterzubringen. Die Mutter kümmert sich mit drei Eltern im Wechsel um den Nachwuchs. Ein Tag bei ihr, dann ein Tag bei Finn. Dort könne die zweijährige Tochter aber nicht hin, die sei noch zu klein, also komme sie zu Oma. Die Notdienst-Kita sei keine Alternative, sondern "eine Kindergarderobe".

Mertinys Arbeitgeber unterstützt sie mit einer flexiblen Lösung. Die Juristin hat sich "ein paar mehr Ordner" mit nach Hause genommen und leistet neben der Kinderbetreuung Heimarbeit. Auch die anderen Eltern der Gastkinder sind vollzeitberufstätig, erzählt sie, alle Kinder sind auch Ganztagskinder. Unter den Eltern sind etwa Lehrer, die nicht einfach Urlaub nehmen können, andere haben keine Großeltern vor Ort, die sich um die Kleinen kümmern können.

Die derzeit streikende Erzieherin Gina Lauer von der städtischen Kita Scheidt blickt nicht unbedingt mit gutem Gewissen in die nächste Woche des Lohnkampfs. Druck von Seiten der Eltern habe sie zwar nicht bekommen, aber sie sehe die zusätzliche Arbeit, die den Erziehungsberechtigten dadurch zukomme. "Wir gehen alle mit einem unguten Gefühl in den Streik", sagt sie, aber auf der anderen Seite wollen sie für eine Aufwertung ihres Berufs kämpfen. "Wie weit muss man noch gehen?"

"Auch die Kinder sind gestresst"

Eltern fordern, Räume der Tagesstätten nutzen zu dürfen


Der Elternausschuss der städtischen Kindertagesstätte Winterberg stürmte gestern mit elf Kindern die Dezernentenkonferenz im Rathaus St. Johann. Grund ist der Kita-Streik, jetzt bereits in der zweiten Woche. Die Eltern wollten die Oberbürgermeisterin Charlotte Britz auf die missliche Lage in der Kinderbetreuung aufmerksam machen. "Wir erwarten von der Verwaltung eine gewisse Transparenz. Wir wissen ja nicht einmal, ob das Ende des Streiks abzusehen ist", sagte Nora Fischenbeck, Vorsitzende des Ausschusses.

Die abwechselnde Betreuung der Kinder durch Eltern in deren Wohnungen und Häusern sei nicht länger tragbar. Man müsse sich dafür Urlaub eintragen und viele Eltern hätten nicht den Platz und die Möglichkeit, 15 Kinder zu betreuen. "Auch die Kinder sind gestresst. Nicht alle Kinder wollen ständig den ,Kindergarten' wechseln", erklärte Fischenbeck. Der Elternausschuss schlug Charlotte Britz vor, wenigstens die Räume der Kita nutzen zu dürfen. So würden die Kinder nicht aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen und die betreuenden Eltern könne man so entlasten, da sie nicht mehr ihre Wohnung zur Verfügung stellen müssten. Die Oberbürgermeisterin bot an, einen neuen Termin zu vereinbaren, um diese Forderung zu besprechen.

Auch eine Eltern-Initiative der Kita Bruchwiese verweist in einer Mitteilung auf die Not der Eltern und Kinder. Die Not-Kitas würden von vielen Eltern abgelehnt, da Kinder ein vertrautes Betreuungsumfeld mit den gleichen Bezugspersonen brauchen, erklärt die Vorsitzende des Eltern-Ausschusses, Sandra Schnabel. Sollte der Streik über Mai hinausgehen, rufen die Eltern dazu auf, sich landesweit über soziale Netzwerke zu organisieren, um mit Protest-Aktionen den Druck auf den Kommunalen Arbeitgeberverband zu erhöhen.

In den Saarbrücker Not-Kitas sind noch viele Plätze frei


Etwa 1800 Kinder sind in Saarbrücken laut Stadt vom Streik betroffen. Die vier Notdienst-Kitas in Saarbrücken sind in der zweiten Streikwoche jedoch nicht ausgelastet.

Am Montag besuchten 102 Kindergarten- und 19 Krippenkinder die Einrichtungen. Das entspricht einer Auslastung von 61 Prozent im Kindergarten und 55 Prozent in der Krippe. Für den gestrigen Dienstag waren 109 Kindergarten- und 22 Krippenkinder gemeldet, das entspricht einer Auslastung von 65 Prozent in der Kita und 63 in der Krippe. Sollte in einer Kita eine Vollbelegung eintreten, so erhalten Eltern an der nächsten Kita mit freien Plätzen einen Notplatz, teilt die Stadt mit. Pressesprecher Thomas Blug: "Wir gehen davon aus, dass die vorhandenen Notplätze in den vier städtischen Kitas bis zum Ende dieser Streikwoche ausreichen. Wir gehen zugleich davon aus, dass die Nachfrage nach Notplätzen mit zunehmender Streikdauer ansteigen wird."

Meinung:
Den Streik nicht aussitzen

 Kinder und Eltern überraschten die Oberbürgermeisterin am Dienstag während einer Konferenz im Rathaus. Foto: Becker&Bredel

Kinder und Eltern überraschten die Oberbürgermeisterin am Dienstag während einer Konferenz im Rathaus. Foto: Becker&Bredel

Foto: Becker&Bredel

Von SZ-Redakteurin Dörte Grabbert

Eltern , wehrt euch. Sitzt den Streik nicht aus. Beschwert euch bei den Kommunen per Telefon, Fax, E-Mail, Brief! Organisiert euch! Protestiert! Von alleine bewegt sich der Kommunale Arbeitgeberverband nämlich nicht. Je länger der Streik dauert, desto mehr Personalkosten sparen die Kommunen. Warum sollten sie sich mit einem Angebot an ihre Beschäftigten, die Erzieherinnen und Erzieher , beeilen? Wir Eltern müssen Druck aufbauen und zeigen, dass es so nicht weitergeht. Wer keine Verwandten in der Nähe hat und arbeiten gehen muss, bei dem liegen die Nerven schon blank. Auch alle anderen werden den Streik nicht wochenlang durchhalten, denn so lange kann es dauern. Deshalb muss mehr Protest her. Einige Eltern machen es schon vor.

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