Gute Orte in einer anonymen Stadt

Saarbrücken · Im Morgenland wurde er erfunden, im Abendland zur Institution. Er diente erst den Super-Reichen, dann dem ganzen Volk. Und die Architektur-Studentin Helene Bunge weiß fast alles über ihn, den Kiosk.

 Der wohl bekannteste Saarbrücker Kiosk, der der „Roten Lilo“, stand auf dem St. Johanner Markt. Lilo, Foto links, starb 1998. Helene Bunge, hier im „Ubu roi“ im Nauwieser Viertel, hat sich mit dem Kiosk als Kulturgut beschäftigt. Fotos: Becker&Bredel/Martin Rolshausen

Der wohl bekannteste Saarbrücker Kiosk, der der „Roten Lilo“, stand auf dem St. Johanner Markt. Lilo, Foto links, starb 1998. Helene Bunge, hier im „Ubu roi“ im Nauwieser Viertel, hat sich mit dem Kiosk als Kulturgut beschäftigt. Fotos: Becker&Bredel/Martin Rolshausen

Die Trunksucht war es, die für ein neues Phänomen in den Städten gesorgt hat, sagt Helene Bunge. Im 19. Jahrhundert, das hat die Studentin für ihre Abschlussarbeit im Fach Architektur an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) herausgefunden, haben Arbeiter ihren durch die schwere Arbeit recht groß gewordenen Durst vor allem durch alkoholische Getränke gestillt. Dem wollte eine "gesundheitspolitische Bewegung" etwas entgegensetzen: Mineralwasser . Um es unters Volk zu bringen, wurden Wasserhäuschen aufgebaut. So, erklärt Helene Bunge, hat der Kiosk "seinen Weg raus aus den Gärten, rein in den Stadtraum gefunden".

Dass die Kioske inzwischen aus den Städten Stück für Stück verschwinden, findet die Studentin schade. In Frankfurt und Dortmund, auch darauf ist sie bei den Recherchen zu ihrer Abschlussarbeit gekommen, haben sich Vereine gegründet, die das "Kulturgut Kiosk" retten wollen. Und genau das sei auch das Fazit ihrer Arbeit: Der Kiosk ist ein Kulturgut. "Er ist ein wichtiger Ort, wenn es darum geht, sich mit seiner Stadt zu identifizieren. Ein vertrauter Treffpunkt in einer anonymen Stadt, ein Ort der Kommunikation", sagt Bunge.

Davon, ein öffentlicher Treffpunkt zu sein, war der Kiosk weit entfernt, als er im Morgenland erstmals gebaut wurde, um "reichen Herrschaften als Pausenstation" bei deren Spaziergängen durch große Gärten zu dienen, wie Bunge erzählt. Kusk hieß der Kiosk damals - ein orientalisches Wort für Winkel und Ecken, wie die Studentin erklärt.

Bereits im 16. Jahrhundert wurde der Kiosk im Osmanischen Reich zum öffentlichen Wasserhäuschen. Die Sebils genannten steinernen Häuschen dienten der Trinkwasserversorgung der Bevölkerung. In Europa wurde der Kiosk im 18. Jahrhundert dann wieder ein Vergnügen für wenige. In europäischen Landschaftsgarten hatten erste Frühformen des heutigen Kiosks eine ähnliche Funktion wie zuvor bei den Sultanen: "Sie sollten beim Lustwandeln vor Wind und Wetter schützen, waren Orte zum Pausieren", sagt Bunge.

Aber auch im Abendland erkannte man schließlich, was im Morgenland längst erprobt war: Die Häuschen konnten gute Dienste bei der Trinkwasserversorgung in den wachsenden Städten leisten. So entstanden die Trinkhallen in Deutschland. Es blieb nicht beim Mineralwasser . Das Angebot wurde erweitert - erst um Limonade, einfache Speisen und Zeitungen, später auch um alkoholische Getränke. Dass die große Zeit der Kioske auch in Saarbrücken vorbei ist, könne man bedauern, sagt Bunge. Man könne aber auch etwas dagegen tun. "Der Kiosk sollte als Bestandteil der Stadtplanung angesehen werden", fordert die angehende Architektin. Kioske müssen bewusst gefördert werden, wenn es darum geht, städtische Quartiere zu entwickeln, sagt sie. Und: "Er sollte nicht nur ein zufälliges Nebenprodukt sein, wenn es darum geht, planerisch Urbanität zu erzeugen." Der Kiosk fungiert in dieser Theorie nicht mehr als Waffe gegen die Trunksucht, sondern als Mittel, die Stadt wohnlicher zu machen.

Um mit den Saarbrückern über das Kulturgut Kiosk ins Gespräch zu kommen, baut Helene Bunge am Mittwoch, 23. März, einen Kiosk vor der Johanneskirche auf. Informationen unter E-Mail helene.bunge@gmail.com

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