Gesundheitskarte als Spar-Joker

Saarbrücken/Bremen/Hamburg · Die Gesundheitskarte für Flüchtlinge ist im Saarland vom Tisch. Dabei zeigt das Beispiel Bremen, dass sich mit der Versichertenkarte offenbar Geld sparen lässt. Für das klamme Saarland und seine Kommunen müsste das eigentlich ein gefundenes Fressen sein.

Bremen hat vor zehn Jahren die Gesundheitskarte für anerkannte Flüchtlinge eingeführt. "Wir haben durchweg sehr gute Erfahrungen damit gemacht. Sie bedeutet für uns weniger bürokratischen Aufwand und hat uns erhebliche Einsparungen in der Verwaltung ermöglicht", sagt Bernd Schneider, Sprecher des Gesundheitsressorts in Bremen. Der Stadtstaat ist ebenso wie das Saarland hoch verschuldet. Einsparmöglichkeiten müssten eigentlich hier wie da willkommen sein. Doch im Saarland ist die Einführung der Versichertenkarte geplatzt - paradoxerweise aus finanziellen Gründen. Ergibt das Sinn?

Derzeit müssen zuallererst die Sozial- und Gesundheitsämter im Saarland über jeden einzelnen Arztbesuch eines anerkannten Flüchtlings in den ersten 15 Monaten entscheiden (danach erhalten Flüchtlinge automatisch eine Versichertenkarte). Der Betroffene erhält dann einen Behandlungsschein, mit dem er zum Arzt gehen kann. Dies bedeutet für die meist ohnehin überlasteten Ämter einen hohen Verwaltungsaufwand - zumal dort medizinischer Sachverstand fehlt. In Bremen, Hamburg und Berlin sowie in einzelnen Kreisen in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, wo kürzlich ebenfalls die Versichertenkarte eingeführt wurde, können Flüchtlinge (genauso wie Deutsche) direkt zum Arzt gehen und die Krankenkassen übernehmen die Abrechnung. Für diese bürokratische Entlastung der Ämter erhalten die Kassen von den Stadtstaaten oder den Landkreisen eine Verwaltungsgebühr. Im Saarland sind die finanziell gebeutelten Landkreise jedoch nicht bereit, diese Zusatzkosten zu tragen (wir berichteten). Zumal die Gebühr hierzulande mit acht Prozent pro Fall zwar so hoch wie in Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen sein sollte, aber teurer als in Bremen (5,9 Prozent) oder Berlin (sechs Prozent). Außerdem - und das ist einzigartig - verlangte im Saarland auch die Kassenärztliche Vereinigung eine Verwaltungsgebühr von 2,2 Prozent pro Behandlungsfall. Macht zusammen über zehn Prozent Verwaltungsgebühren. Auch das einzigartig im Ländervergleich - und womöglich nicht genügend ausverhandelt.

Trotz der Verwaltungspauschalen spare Bremen mit der Karte "unterm Strich deutlich", erklärt der Sprecher des Gesundheitsressorts der Hansestadt. Den Verwaltungsgebühren der Kassen von derzeit geschätzt insgesamt einer Million Euro jährlich stünde die Einsparung einer dreistelligen Personalzahl in der Verwaltung gegenüber. In Hamburg wird man noch konkreter: Dort spare man dank der Karte rund 1,6 Millionen Euro pro Jahr ein, heißt es im Senat. In beiden Stadtstaaten wird auf Nachfrage zudem die Befürchtung zurückgewiesen, dass mit Einführung der Gesundheitskarte weder die Zahl der Behandlungen noch die Kosten pro Fall gestiegen seien. In dieselbe Richtung deutet eine Studie des Gesundheitswissenschaftlers Oliver Razum von der Universität Bielefeld . Eine Auswertung der Gesundheitskosten für Asylbewerber von 1994 bis 2013 ergab, dass die Ausgaben für Flüchtlinge mit eingeschränktem Zugang zu medizinischer Versorgung um rund 40 Prozent höher lagen als bei denjenigen, die Zugang zur regulären Versorgung hatten. Grund dafür seien bürokratische Hürden, durch die es zu Verzögerungen bei der Behandlung komme, die am Ende dann oft teurer sei.

Abgesehen von dem Streit über die Verwaltungsgebühren ist die Karte im Saarland bislang kaum auf Kritik gestoßen. Die Landesregierung hat sich klar für die Einführung der Karte ausgesprochen (sie spare "unnötige Kosten" und "viel Bürokratie "), auch der Landkreistag hätte "nichts dagegen, wenn uns Verwaltungsgebühren und -aufwand erspart blieben", so dessen Geschäftsführer Martin Luckas. Auf SZ-Anfrage teilte ein Sprecher des für Flüchtlingsfragen zuständigen Innenministeriums zwar mit, dass man "nicht ausschließt", sich von Landesseite an den Verwaltungsgebühren zu beteiligen. Dennoch - und trotz der guten Erfahrungen in Bremen oder Hamburg - scheint keine Bewegung in Sicht.

Meinung:
Schuldenbremse sticht nicht

Von SZ-RedakteurJohannes Schleuning

Man kann sich auf den streitbaren Standpunkt stellen, dass eine Versichertenkarte für anerkannte Flüchtlinge unnötig ist. Das aber hat die Landesregierung nie getan. Im Gegenteil: Sie hat sie propagiert. Nur bezahlen sollten dafür andere, die Landkreise. Nach deren Weigerung scheint sich die Landesregierung nun offenbar mit dem Aus für die Gesundheitskarte zufriedenzugeben. Nachvollziehbar ist das nicht, zumal die Aussicht besteht, mit Hilfe der Karte Verwaltungskosten einzusparen. Um die Kreise für die gute Idee zu gewinnen, sollte sich das Land finanziell beteiligen. Das oft reflexartig gezückte Totschlag-Argument namens Schuldenbremse sticht nicht zwangsläufig: Bremen zeigt, dass es sich rechnet. Bewegen müssen sich aber auch Kreise und Kassen.

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