Gelebte Solidarität von 16 000 Menschen
Ensdorf/Saarbrücken. Entspannt wirkt die Atmosphäre in den neuen Werkstätten der Arbeiterwohlfahrt (AWO) im Gewerbegebiet "Saarplateau" in Ensdorf. Die Tische sind mit Mitarbeitern voll besetzt. 120 geistig behinderte Menschen arbeiten hier. Im Gebäude nebenan sind weitere 48 Menschen beschäftigt
Ensdorf/Saarbrücken. Entspannt wirkt die Atmosphäre in den neuen Werkstätten der Arbeiterwohlfahrt (AWO) im Gewerbegebiet "Saarplateau" in Ensdorf. Die Tische sind mit Mitarbeitern voll besetzt. 120 geistig behinderte Menschen arbeiten hier. Im Gebäude nebenan sind weitere 48 Menschen beschäftigt. Sie leiden unter einer psychischen Behinderung - bei der AWO arbeiten sie im Bereich Bürodienstleistungen und digitalisieren unter anderem Fotos für Archive.
Die beiden neuen Werkstätten sind Teil des AWO-Verbundes für Integration und Bildung (VIB) und entlasten die Werkstätten in Dillingen, Nunkirchen und Weierweiler. "Das Gefühl gebraucht zu werden, stärkt enorm das Selbstwertgefühl unserer Mitarbeiter", erklärt Herbert Dillmann, der bei der AWO in Ensdorf unter anderem für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. In den neuen Werkstätten bietet die AWO verschiedene Dienstleistungen an: In einer Großwäscherei werden täglich drei bis fünf Tonnen Wäsche für Altenheime oder Krankenhäuser bearbeitet. Für die Autoindustrie werden in Ensdorf Stoßdämpfer oder Verschraubungen hergestellt, für ein weiteres Unternehmen Fahrradsattel zusammengebaut und voreingestellt und für ein anderes Geschenkverpackungen erstellt.
"Hier bekommen die Behinderten die Chance, mehr Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein zu entwickeln - positiv ist außerdem, dass sich die gesellschaftliche Akzeptanz erhöht hat. Wir finden immer wieder Bündnispartner, die gerne mit uns zusammen arbeiten", sagt Dillmann. Zwar müssten Arbeiten für Leute gefunden werden, die sonst auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance hätten. Aber der Direktor der VIB, Diethard Geber, ist sich sicher: "Wir sind auch so normaler Teil des Arbeitsmarktes, hier bekommen sie viel Respekt und sie kommen mit Freude hierher arbeiten." Ziel sei es auch, Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln, im Jahr gelänge dies etwa drei Mal.
Die Hauptaufgabe der Arbeiterwohlfahrt ist es, sozial schlechter gestellte Menschen zu unterstützen. Neben der Behindertenhilfe ist die AWO in vielen Feldern der sozialen Arbeit aktiv: in der Alten- und Familienhilfe, der Integration von Ausländern und Benachteiligten, in der Kinder- und Jugendlichenbetreuung und bei Obdachlosen sowie in der Sozialpsychiatrie. Sie unterhält Sozialstationen und Frauenhäuser und berät bei Arbeitslosigkeit.
Im Saarland hat die AWO 16 000 Mitglieder in rund 120 Ortsvereinen und 248 Einzeleinrichtungen, rund 4000 hauptberufliche Mitarbeiter, 2000 sind ehrenamtlich aktiv. Der Landesvorsitzende Paul Quirin bezeichnet die AWO als "organisierte Solidarität". Er ist seit 40 Jahren Mitglied bei der AWO und bereits seit 24 Jahren Landesvorsitzender.
Trotz der hohen Mitgliederzahl stagnieren laut Quirin bei der AWO die Neueintritte, die Mitglieder seien jetzt schon verhältnismäßig alt. "Ich glaube, dass die jungen Leute heute zu viele andere Ablenkungen wie den Computer haben. Vorher war die Mitgliedschaft innerhalb der Arbeiterschaft eine klare Sache, sie definierten sich über ihre sozialdemokratischen Wurzeln", sagt Quirin. Nach seiner Einschätzung gibt es zwar eine größere Abkehr von der allgemeinen Hilfe, aber eine Suche vieler älterer Menschen nach neuen Aufgaben in der Rente. Die Hilfsbereitschaft sei nicht zurückgegangen, geändert habe sich nur die Art der sozialen Dienste.
Auf einen Blick
Die Arbeiterwohlfahrt wurde am 13. Dezember 1919 als "Hauptausschuss für Arbeiterwohlfahrt in der SPD" gegründet. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die AWO aufgelöst, 1946 als parteipolitisch und konfessionell unabhängige Hilfsorganisation neu gegründet. Heute ist die AWO ein dezentral organisierter Wohlfahrtsverband, der sich auf Basis persönlicher Mitgliedschaft in seinen Ortsvereinen aufbaut. Die AWO hat über 145 000 Arbeitnehmer in ganz Deutschland. eh