„Es war ein Stück Ohnmacht“

Jo Leinen war Anti-Atom-Aktivist und Sprecher der deutschen Umweltschutzbewegung, bevor er 1985 saarländischer Umweltminister wurde. Am 24. Oktober 1986, vor 30 Jahren, musste der SPD-Politiker miterleben, wie in Cattenom der erste Meiler des Atomkraftwerks ans Netz ging. Im Gespräch mit SZ-Redakteur Daniel Kirch blickt er auf seinen Kampf gegen die Anlage zurück.

 Die Kühltürme des Atomkraftwerks Cattenom sind weithin sichtbar. Alle Initiativen zur Abschaltung des störanfälligen AKW – insbesondere aus dem Saarland und aus Luxemburg – hatten bislang keinen Erfolg.

Die Kühltürme des Atomkraftwerks Cattenom sind weithin sichtbar. Alle Initiativen zur Abschaltung des störanfälligen AKW – insbesondere aus dem Saarland und aus Luxemburg – hatten bislang keinen Erfolg.

Foto: Rich Serra

Hatten Sie nach Ihrer Berufung zum Umweltminister ernsthaft die Vorstellung, dass man die Franzosen überzeugen kann, auf Atomkraft zu verzichten?

Leinen: Es gab schon vor der Inbetriebnahme des ersten Blocks große grenzüberschreitende Demonstrationen, an denen auch ich teilgenommen habe - in Cattenom vor dem Bauplatz, aber auch in den Städten der Grenzregion wie Metz, Luxemburg und Saarbrücken. Überall wurde gegen diesen größten Atomkraftwerkspark weit und breit demonstriert. Als Umweltminister war mir klar, dass von Cattenom die größte Gefahr für unsere Region ausgeht.

Wie fühlten Sie sich als Anti-AKW-Aktivist und nun zuständiger Minister beim Blick nach Cattenom?

Leinen: Es war schon ein Stück Ohnmacht. Wir haben alles versucht. Immerhin hat das Saarland als bisher einziges Land über den Verwaltungsgerichtshof Straßburg bis zum Europäischen Gerichtshof in Luxemburg gegen Cattenom alle Register gezogen. Kurzfristig hatten wir sogar Erfolg, als der EuGH die Genehmigung der Blöcke 3 und 4 für nichtig erklärt hat. Aber in Frankreich gehen die Uhren anders: Am selben Tag hat der Industrieminister eine neue Genehmigung unterschrieben. Wir waren wieder auf den Anfangspunkt zurückgeworfen.

Wie erklären Sie sich, dass die Sicht auf die Atomkraft in Deutschland und Frankreich so verschieden ist?

Leinen: Frankreich wollte nach dem Zweiten Weltkrieg Größe und Unabhängigkeit durch die Atomtechnologie, sowohl bei den Atomwaffen als auch bei der Energieversorgung. In Deutschland ist durch die Umweltbewegung der 70er Jahre ein Stein ins Rollen gekommen, das Bewusstsein wuchs, dass jeder Atomunfall in unserem dichtbesiedelten Landstrich ein Super-GAU ist. Die Anti-AKW-Bewegung war in Deutschland auch in den Medien präsent, während sie in Frankreich systematisch unterdrückt wurde.

Als Cattenom ans Netz ging, hieß es, dass die vier Meiler bis zum Jahr 2026 laufen sollen. Mittlerweile werden ganz andere Laufzeiten genannt. Hatten Sie das damals schon befürchtet?

Leinen: Nein, man hatte keine Vorstellung, dass diese Atomkraftwerke länger als 30, höchstens 40 Jahre laufen könnten. Jetzt sind die Planungen auf 60 Jahre hochgeschraubt worden, also bis 2046. Das war damals nicht vorgesehen. Insofern ist es auch ein Betrug an allen, denen man damals etwas anderes erzählt hat.

Haben Sie die Hoffnung aufgegeben, dass die Franzosen noch umgestimmt werden können?

Leinen: Die neue Zeit mit den neuen Möglichkeiten ist an den französischen Eliten nicht vorbeigegangen. Sie sehen, dass man Atomkraftwerke nicht verkaufen kann, während Solarenergie, Windstrom und die dazugehörigen Technologien einen Weltmarkt haben. Daher hat Frankreich entschieden, den Anteil des Atomstroms von 75 auf 50 Prozent der Elektrizitätsversorgung zurückzufahren. Das heißt immerhin die Stilllegung von zwölf Atomkraftwerken. Unsere Forderung muss ein Ausstiegsplan sein, wenn es schon nicht möglich ist, alle vier Meiler auf einmal stillzulegen. Ich glaube schon, dass der Widerstand aus Luxemburg und Deutschland Wirkung zeigt. Steter Tropfen höhlt den Stein.

Bisher haben es alle Bundesumweltminister abgelehnt, sich direkt in Paris für eine Abschaltung von Cattenom einzusetzen. Das Argument lautete immer: Energiepolitik ist Sache der Nationalstaaten.

Leinen: Die amtierende Bundesumweltministerin, die aus Nordrhein-Westfalen kommt, hat sich aktiv zu den belgischen Atomkraftwerken in der Nähe zu NRW geäußert. Man wünscht sich das auch zu den französischen Atomkraftwerken in unserer Nähe.

Was halten Sie von der Idee Ihres früheren Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine , mit Geld nachzuhelfen und Frankreich für eine Abschaltung von Cattenom zu bezahlen?

Leinen: Nichts. Man kann nicht noch die belohnen, die einen einer Gefahr aussetzen. Ich bin allerdings der Meinung, dass Deutschland und Frankreich eine gemeinsame Energiepolitik der Zukunft beschließen sollten. Diese Zukunft gehört nicht der Atomkraft, sondern den erneuerbaren Energien in all ihren Formen. Da wäre viel Potenzial zu entwickeln, gerade in Lothringen mit den großen Landstrichen.

Als Sie vor einem Jahr erstmals das Atomkraftwerk Cattenom besichtigt haben, waren Sie da hinterher beruhigter als zuvor oder machen Sie sich seither noch mehr Sorgen?

Leinen: Ich kenne die Schwächen der französischen Atomkraftwerke . Sie haben nur zwei Sicherheitskomponenten, während die modernsten Anlagen jeweils vier Notstrom- und Notkühlaggregate haben. Beruhigen kann mich so eine Ortsbesichtigung nicht.

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