Es müssen Männer mit Bärten . . .

Saarbrücken · Es ist die letzte Premiere beim diesjährigen Festival Perspectives. Am Samstag, 18.30 Uhr, ist im Forbacher Carreau Christian Rizzos Choreografie „D'après une histoire vraie“ zu sehen. Eine Auftragsarbeit fürs Festival von Avignon.

 Inspiriert von einem traditionellen Tanz in der Türkei entwickelte Christian Rizzo das Ballett mit bärtigen Männern, das am Samstag Premiere hat. Foto: Marc Domage

Inspiriert von einem traditionellen Tanz in der Türkei entwickelte Christian Rizzo das Ballett mit bärtigen Männern, das am Samstag Premiere hat. Foto: Marc Domage

Foto: Marc Domage

. "D'après une histoire vraie" - "nach einer wahren Geschichte" - heißt sein Tanzstück. Doch nicht Geschichten oder Ideen, sondern Fragen sind für Christian Rizzo die Antriebsfedern, wenn er eine neue Choreografie kreiert. 2003 hatte er in Istanbul gesehen, wie eine Gruppe von Männern einen türkischen Volkstanz aufführte. Es war nur eine Zwischeneinlage in einem zeitgenössischen Tanzstück, dauerte höchstens zwei Minuten, dennoch blieb sie ihm nachhaltig im Gedächtnis.

Warum eigentlich?, fragte sich der Künstler, Jahrgang 1965, als er 2013 den Auftrag erhielt, ein Tanzstück für das Festival von Avignon zu schaffen. Hatte es damit zu tun, dass die Art dieser Männergemeinschaft zu tanzen so weit von seiner eigenen entfernt war? Eine Frage ergab die nächste: Was bestimmt eigentlich, was ein populärer, folkloristischer Tanz ist und was ein sogenannter "gelehrter" Tanz, sprich: zeitgenössischer Kunsttanz?

Um das herauszufinden, erklärt Rizzo, musste er den Folkloretanz und seine Bestandteile "dekontextualieren", also völlig aus ihrem gewohnten Umfeld herauslösen. Zunächst brauchte er Material: Er bat unter anderem seine Tänzer , ihm Bewegungen vorzutanzen, die sie für "typisch Volkstanz " hielten. Um die Bewegungen, ihre Energie im Raum zu organisieren, um einen Punkt herum, erkannte Rizzo, musste er die Beobachterposition verlassen und selbst auf die Bühne gehen. So wie der Maler Jackson Pollock mitten auf der Leinwand stand, wenn er bei seinen "Drippings" die Farbe darüber verteilte.

Rizzo war ursprünglich bildender Künstler. Auch wenn er bei den Bewegungen Vorschläge, Angebote der Tänzer annimmt, Herr des Geschehens bei der Choreografie ist immer der Choreograf, stellt Rizzo klar. Auch dann, wenn er jeden Tänzer individuelle Besonderheiten tanzen lässt.

Noch einer weiteren Frage geht Rizzo in dem Stück nach: "Welche Fähigkeit haben Männer , unter sich zu sein? Was ist heutzutage eine Gruppe von Männern, die sich als Gemeinschaft erfahren will?". Seine Antwort: "Für mich ist es auch ein Stück, das von Zärtlichkeit, Zusammensein und der Freude, unter Männern zu sein, erzählt." Der Choreograf, der früher auch noch Rocksänger in einer Post-Punk-Band und Modedesigner war, besorgte auch die Musiker-Auswahl und die Kostüme. Schlicht sollte die Kleidung sein, schwarz wäre zu stark, grau lässt die Unterschiede der einzelnen Tänzer besser erkennen, erklärt er. Und die langen Haare und Vollbärte, tragen sie die etwa auch auf Geheiß des Choreografen , als Insignien der Männlichkeit? Rizzo lacht. Nein, das sei ihm erst nach dem Vortanzen aufgefallen. "Das habe ich wohl unbewusst gemacht, gerade die mit Bärten auszuwählen."

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HintergrundWie entsteht ein Festival? In Reportagen und Interviews haben wir in den letzten Wochen versucht, darzustellen, was alles nötig ist, damit ein Festival wie Perspectives stattfinden kann. Wir haben Akrobaten, Zauberer, Regisseure, Choreografen und natürlich Festivalchefin Sylvie Hamard befragt, wie Ideen entwickelt und Fertigkeiten geschult werden. Zum Abschluss nun ein Gespräch mit dem Choreografen Christian Rizzo, der übrigens 2005 unter der damaligen Festivalchefin Michèle Paradon bereits mal in Saarbrücken war. red

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