„Es gibt auch Grenzen der Toleranz“

Die Saarbrücker Zeitung begleitet auch in diesem Jahr wieder die ARD/SR-Themenwoche mit eigenen Beiträgen. Dieses Mal lautet das Thema „Toleranz“. Zum Auftakt ein Interview mit dem Superintendenten des evangelischen Kirchenkreises Saar-West Christian Weyer. SZ-Redakteur Dietmar Klostermann wollte von ihm wissen, wie tolerant Christen heute gegenüber Andersgläubigen sind.

Was verstehen Sie als evangelischer Christ, als Pfarrer, unter Toleranz? Wie leben Sie Toleranz aus?

Weyer : Toleranz bedeutet vom Wortbegriff, dass man den Anderen in seinem Anderssein duldet. Das ist mir aber ein zu enger Toleranzbegriff. Für mich bedeutet Toleranz, dass ich den Anderen nicht nur dulde, sondern auch akzeptiere so wie er ist in seiner Andersartigkeit. Und auch akzeptiere, dass in seinem Denken genauso viel Wahrheit und Wichtigkeit existiert wie in meinem Denken.

Sind Ihnen bereits Fälle begegnet, bei denen Sie mit Ihrem Toleranzbegriff an Grenzen gestoßen sind?

Weyer : Ja, es gibt auch Grenzen der Toleranz. Das habe ich in den letzten Monaten erlebt, als die Milizen des Islamischen Staats (IS) in Syrien und im Irak gegen Andersgläubige vorgingen und auch in Deutschland für sich geworben haben. Da war meine Grenze der Toleranz erreicht. Das sind Dinge, die ich nicht einmal dulde oder ertrage.

Meinen Sie konkret das Zeigen der IS-Fahne durch einen Saarbrücker Bürger an einer Hausfassade in der Großherzog-Friedrich-Straße im Sommer?

Weyer : Genau.

Wie ist da eigentlich die Entwicklung? Haben Sie sich darum noch mal gekümmert? Ist der Mann gemaßregelt worden oder was ist in diesem Fall denn passiert?

Weyer : Gemaßregelt worden ist er nicht. Aber man hat ihm deutlich gemacht, dass es im Sinne des inneren Friedens unserer Stadt ist, dass er die Fahne wieder abhängt. Das hat er wohl eingesehen. Inzwischen ist ja auch das Zeigen der IS-Fahne verboten in Deutschland. Seitdem ist auch nichts mehr zu sehen gewesen.

Als ich ein kleiner Junge war, trugen alle Diakonissen in meinem evangelischen Kindergarten weiße Hauben über dem Haar. Heute verweigert das evangelische Augusta-Krankenhaus in Bochum einer muslimischen Mitarbeiterin das Tragen des Kopftuches, die Frau verliert sogar vor dem Bundesgerichtshof im Kampf um ihren Job. Sind Sie auch der Ansicht, dass das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen stärker wiegt als die Religionsfreiheit des Arbeitnehmers?

Weyer : Das kommt für mich immer auf den Arbeitsbereich an. Eine evangelische Kirchengemeinde muss das Recht haben zu sagen, unsere Jugendmitarbeiterin muss evangelisch sein. Sie muss mindestens dem christlichen Glauben angehören, denn hier geht es um christliche Inhalte. Was anderes ist es für mich, wenn eine Kirche einen Kindergarten betreibt und sich dieser in einem Wohnviertel befindet, in dem überwiegend Migranten wohnen. Da hat unsere Landeskirche letztlich die Bestimmungen geöffnet, so dass auch Mitglieder anderer Religionen eingestellt werden können. Im Falle des Augusta-Krankenhauses kann ich mir kein letztes Urteil bilden, ob dort die christliche Prägung so stark ist, dass das Tragen eines Kopftuchs fremd ist. Für mich hängt es immer vom Konzept ab.

Gab es im Saarland Konfliktfälle, wo Sie gesagt haben, Nein, mit Ihnen können wir nicht zusammenarbeiten, weil Sie einen anderen Glauben haben und diesen auch durch Ihre Kleidung ausdrücken?

Weyer : Mir ist kein Fall bekannt im Saarland. Wir haben als Leitungsorgan auch immer Ausnahmegenehmigungen zu erteilen. Das bezieht sich in der Regel nur auf andere christliche Religionen. Das Diakonische Werk an der Saar beschäftigt in der Arbeit mit Migrantinnen und Migranten aber auch Muslime.

In welchen Berufen haben Sie Ausnahmegenehmigungen für Katholiken erteilt?

Weyer : Es ging vor allem um Mitarbeiterinnen in Kindertageseinrichtungen. Da sind Ausnahmegenehmigungen gang und gäbe. Ich glaube aber, dass das auf Dauer gründlich überdacht werden muss. Denn die Wirklichkeit in der Gesellschaft beginnt uns ja allmählich zu überholen. Ich habe auf der diesjährigen Kreissynode am 8. November thematisiert, wie lange wir es uns noch leisten können, ein eigenes kirchliches Arbeitsrecht zu haben. Das versteht ja kein Mensch mehr.

Zum Thema:

Auf einen BlickDie ARD/SR-Themenwoche vom 15. bis 21. November steht unter dem Titel: "Toleranz - Anders als du denkst". Am Wochenende gibt es unter anderem diese Programmpunkte: Samstag: 9.05 Uhr, SR Kulturradio: "Können Kinder Toleranz erlernen?"; 18.45 Uhr, SR Fernsehen: "Toleranz im Namen des Herrn - Unterwegs mit Pfarrer Janssen". Sonntag: 8.15 Uhr, SR Fernsehen: "Klares Abseits - Rassismus im Fußball"; 12.30 Uhr, SR 3 Saarlandwelle: "Wie tolerant ist das Saarland? - Eine Reise zu Fußballplätzen, Vereinen und Moscheen".Das ganze Programm findet sich im Videotext des SR. red

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