„Es gab sogar wilde Feigen an der Saar“

Saarbrücken · Einfach macht es uns dieser Sommer nicht, sich mit ihm anzufreunden. Doch hinter den dicken Wolken und der schwülen Hitze liegen kleine Geschichten, die es wert sind, ein wenig genauer hinzuschauen. In unserem heutigen Saarbrücker Sommer-Interview erzählt uns Botaniker Markus Siersdorfer, dass das Grün, das aus Betonritzen in der Stadt sprießt, nicht einfach nur Gestrüpp ist. Die Fragen stellte SZ-Redakteur Alexander Manderscheid.

 Diese Brombeeren in der Malstatter Ludwigstraße brauchen noch ein Weilchen, bis sie reif sind. Foto: Oliver Dietze

Diese Brombeeren in der Malstatter Ludwigstraße brauchen noch ein Weilchen, bis sie reif sind. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Herr Siersdorfer, lassen sich im Sommer in Saarbrücken kleine, wilde Leckereien finden?

Markus Siersdorfer: Ja, die Kirschpflaume zum Beispiel. Sie ist keine typische Nutzpflanze, sondern dient eher als Unterlage für Veredelungen von Zuchtobstsorten, weil sie als wilde Pflanze das bessere Wurzelwerk liefert. Unter Umständen wächst sie aber weiter und trägt Früchte, nachdem die aufgepfropfte Edelart abgestorben ist. Man muss sie suchen. Ich bin als Student früher an einer in der Halbergstraße vorbeigefahren und hatte mich zuerst über die vielen gelben Früchte gewundert, die überall auf der Straße lagen. Aber ich weiß nicht, ob es den Baum dort noch gibt.

Und die Kirschpflaume trägt jetzt?

Siersdorfer: Ja, jetzt geht es los mit der Frucht. Die Pflaumen und Zwetschgen fangen im Juli an, reif zu werden. Das geht dann je nach Sorte bis in den Oktober hinein. Die Kirschpflaumen sind jetzt schon reif. Die Früchte sind entweder rot oder gelb, und es ist wie eine kleine Lotterie, ob sie auch schmecken.

Was gibt es noch zurzeit?

Siersdorfer: Demnächst Hagebutten oder Brombeeren, diese auch häufig an Rändern von Robinienwäldchen. Hier kann auch Schwarzer Holunder als Unterwuchs auftreten.

Robinienwäldchen?

Siersdorfer: Das Holz hat man im Saarland im 19. Jahrhundert im Bergbau gebraucht, und es wird bis heute in der Landwirtschaft genutzt, weil die Pfähle aus Robinienholz über 30 Jahre im Boden bleiben können, ohne zu faulen. Die Robinie vermehrt sich durch Wurzelaustriebe und hat nach dem Krieg auch Bauschutthügel in der Stadt besiedelt. So entstanden kleine Robinienwäldchen.

Eine Pflanze, die sich selbstständig gemacht hat.

Siersdorfer: Genau. Und da fällt mir auch der Götterbaum ein, der ursprünglich als gepflanzter Zierbaum von ganz alleine für sich die Hinterhöfe im Nauwieser Viertel erobert hat. Sie vertragen die trockenen Böden und lieben die Wärme in der Stadt und wachsen nicht auf dem Dorf.

Lassen sich hier noch weitere Exoten finden?

Siersdorfer: Es gab sogar schon mal wilde Feigen an der Saar, wo warme Abwässer der Industrie flossen und die Uferbereiche im Winter frostfrei blieben. Und es wuchsen Tomaten in der Aue der Saar. Über Abwässer sind die Samen in den Fluss und durch Hochwasser in die Aue gelangt. Es gab Zeiten, da konnten die Leute ganze Körbe voll pflücken. Aber das ist Vergangenheit wie der Gute Heinrich, der am Rand der Misthaufen wuchs, sicherlich auch in St. Arnual. Aber weil die Misthaufen längst weg sind und alles gut gepflegt ist, ist der Gute Heinrich verschwunden. Man konnte ihn wie Spinat kochen.

Wie sieht es beim Löwenzahn und der Brennnessel aus? Die wuchern doch überall.

Siersdorfer: Ich wäre vorsichtig, wenn ich sie in der Stadt fände. Der Löwenzahn und die Brennnessel noch mehr brauchen nährstoffreiche Böden und viel Stickstoff. Vielleicht ist an der Stelle ein Vier- oder Zweibeiner langgelaufen und hat dorthin gepinkelt.

Sollte man Kräuter , die man in der Stadt findet, eigentlich doch waschen? Es heißt ja, dass damit ein Teil des Aromas im Abfluss verschwindet.

Siersdorfer: Kräuter aus der Stadt würde ich auf jeden Fall abwaschen. Außerdem spielt hier nicht nur der Dreck eine Rolle. Durch die Abgase und durch Altlasten gibt es immer noch genügend Schwermetalle im Boden, um die Kräuter zu belasten. Es hängt dann natürlich von der Pflanze selbst ab, wie stark sie sie einbaut. Aber von dort, wo Altindustrie war, würde ich sie nicht essen.

Für alle, die nichts finden und lieber selbst etwas anbauen möchten: Was kann der Schrebergärtner jetzt noch ins Beet setzen, damit daraus etwas wird?

Siersdorfer: Bis etwa 10. August lohnen sich noch fast alle Salatsorten. Gut gehen auch Mangold, Radieschen und Kohlrabi. Der wächst schnell.

 Markus Siersdorfer kennt die Pflanzenwelt. Foto: Oliver Dietze

Markus Siersdorfer kennt die Pflanzenwelt. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Markus Siersdorfer ist 47 Jahre alt und studierter Geograf und Botaniker . Er arbeitet im Fachdienst Regionalentwicklung und Planung beim Regionalverband Saarbrücken im Team Landschaftsplan und Kulturlandschaftsentwicklung.

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