Entwicklung im Einklang mit Mensch und Natur

Saarbrücken · Denkt man an Griechenland, werden bei vielen von uns in jüngster Zeit die erschütternden Bilder wach, wo tausende durch Kriege und Verfolgung vertriebene Menschen sich auf die lebensgefährliche Überfahrt vom türkischen Festland auf die vorgelagerten griechischen Inseln gemacht haben. Was weniger bekannt ist: Es waren vor allem die einfachen Menschen vor Ort und die vielen freiwilligen Helfer, die dort dazu beigetragen haben, das große menschliche Leid zu mildern. Deren Handeln war von beispielhafter Nächstenliebe und Menschlichkeit bestimmt, und diesen Eigenschaften begegnet man überall in diesem Staat, der so viele Gesichter hat.

 Die eindrucksvolle Bergwelt des Vikos-Aoos-Nationalparks ist touristisch noch wenig erschlossen.

Die eindrucksvolle Bergwelt des Vikos-Aoos-Nationalparks ist touristisch noch wenig erschlossen.

Denkt man abseits der "großen" Politik an Griechenland, kommen einem als Urlauber meist Reiseziele wie Kreta, Korfu oder Rhodos, wunderschöne Strände und kristallklares Wasser oder die Hauptstadt Athen mit ihren eindrucksvollen Bauwerken aus längst vergangenen Tagen in den Sinn. Doch Griechenland hat neben den bekannten Reisezielen viel mehr zu bieten als nur die bekannten Urlaubsdestinationen und seine einzigartige Inselwelt in der griechischen Ägäis.

Einer dieser Landschaftsräume, die von den oft negativen Folgen des "klassischen" Tourismus verschont wurde, ist Epirus, die Region im Nord-Westen Griechenlands. Es ist eine Gegend, die wunderschöne Natur, einzigartige Geschmackserlebnisse und liebenswerte Menschen mit einer beispiellosen Gastfreundschaft kombiniert.

Die Region Epirus grenzt im Nord-Westen an Albanien, hat eine Fläche von rund 9200 Quadratkilometern und rund 340 000 Einwohner, was eine Einwohnerzahl von 37 Menschen pro Quadratkilometer bedeutet. Zum Vergleich: Das Saarland hat eine Fläche von 2500 Quadratkilometern und 990 000 Einwohner, also 396 Einwohner pro Quadratkilometer. Verwaltungszentrum und Hauptstadt der Region ist Ioannina, welches am Westufer des rund 23 Quadratkilometer großen Pamvotida-Sees gelegen ist und rund 110 000 Einwohner zählt. Ioannina ist zwischenzeitlich durch ein modernes Straßennetz mit den großen Städten und über einen kleinen Regionalflughafen gut erreichbar. Die lange, fast 500-jahrige Osmanenherrschaft prägt noch heute das Stadtbild.

Reizvoll präsentieren sich viele der kleinen Orte entlang der Küstenlinie zwischen Igoumenitsa und Previza, wie etwa das quirlige und touristische intensiv erschlossene Dörfchen Parga, etwa 40 Kilometer südlich von Igoumenitsa. Auf der landschaftlich reizvollen Fahrt auf der Küstenstraße nach Süden erreicht man den Ambrakischen Golf, der auch Golf von Arta genannt wird. Er ist fast vollständig von Land umschlossen und nur durch einen engen Kanal nach Westen hin zur See geöffnet. Er erstreckt sich in östlicher Richtung etwa 38 Kilometer ins Landesinnere, die größte Ausdehnung in Nord-Süd-Richtung beträgt etwa 25 Kilometer, und er umschließt eine Wasserfläche von etwa 500 Quadratkilometern.

Die geringe Wassertiefe und die besonderen Bedingungen im Golf haben eine einzigartige Naturlandschaft entstehen lassen. Ein Eldorado für Naturliebhaber bietet zum Beispiel das Wetlands Schutzgebiet mit der ganzen Vielfalt an Lebensformen, die für solche Lebensräume im Übergangsbereich zwischen Wasser und Land typisch sind. Der Ambrakische Golf ist ein internationales Naturschutzgebiet, etwa 280 Vogelarten wurden hier gelistet. Aber auch viele Zeitzeugen der wechselvollen Geschichte Griechenlands findet man in der näheren Umgebung, ein Beleg dafür, dass diese Region lange Zeit eine besondere Bedeutung hatte.

Noch eher unbekannt ist jener Teil von Epirus, der abseits der Küstenlinie liegt. Das Charakteristikum dieser Region ist seine wilde Berglandschaft, in der Gämsen, Wildkatzen, Luchse, Wölfe und Braunbären leben, wo wilde Tiere durch verwunschene Wälder über Bergkämme mit traumhaften Weitblicken und durch tiefe Schluchten streifen. Eine dieser und die wohl eindrucksvollste Schlucht ist zugleich Nationalpark. Der Vikos-Aoos National Park westlich des Bergs Tymfi mit seiner beeindruckenden Schlucht, die 1997 ins Guinness-Buch der Rekorde als tiefste Schlucht der Welt aufgenommen wurde, wobei das Verhältnis zwischen Tiefe und Breite als maßgebliches Kriterium definiert wurde. Zahlreiche wilde Pfade erschließen dieses Naturwunder, das das Herz eines jeden Naturliebhabers höher schlagen lässt, und Naturfotografen finden hier einzigartige Motive.

In der Bergregion mit den malerischen Steindörfern leben und arbeiten noch heute Menschen und gehen ihrem oft mühsamen Tagwerk nach. Hirten streifen mit Schaf-und Ziegenherden von April bis in den Oktober durch die Bergwelt mit ihren über 2000 Meter hohen Gipfeln. Viele dieser Hirten haben sich in der "Association of Pastoral Farmers of Epirus" organisiert. Sie wollen nicht nur die wichtige Hirtentradition erhalten, ihr Ziel ist es auch, die qualitativ hervorragenden regionalen Produkte über direkte Vermarktungswege an den Endverbraucher zu bringen und durch eine naturnahe Beweidung zur Erhaltung und Förderung der Biodiversität (Vielfalt an Arten und Lebensräumen) beizutragen.

Die hohe Qualität und Geschmacksvielfalt der regionalen Produkte haben ihren Grund. Die Tiere ernähren sich auf den Bergwiesen, und die Vielfalt an Gräsern und Kräutern ist Garant für einen einzigartigen Rohstoff, aus dem später eine Vielzahl leckerer Produkte hergestellt wird. Der Tourismus ist hier praktisch nicht entwickelt, nur selten "verirren" sich Gäste aus anderen Ländern.

Und genau hier setzt das Engagement der Deutsch-Griechischen Versammlung (DGV, siehe Infokasten) an, Entwicklungen zu initiieren und zu unterstützen, um in enger Zusammenarbeit mit allen Akteuren eine nachhaltige Entwicklung in den Regionen zu fördern. Damit sollen die drei Säulen der Nachhaltigkeit , Ökologie, Soziales und Ökonomie, so verknüpft werden, dass dadurch eine nachhaltige und vor allem qualitative Entwicklung gewährleistet wird.

Nun gilt es, genau darauf aufzubauen, Angebote zu entwickeln, die Naturerlebnis und Kulinarik miteinander verbinden und die Individualtouristen einladen, diese Region zu entdecken, zu erleben und in ihrer Ursprünglichkeit zu erhalten. Die Menschen vor Ort sind die "Motoren" und "Entscheider" in einem solchen Entwicklungsprozess. Gemeinsam mit ihnen und mit Unterstützung der DGV sollen Wege aufgezeigt werden, dieses Naturerbe und die Landnutzungskultur zu bewahren und schonend zu entwickeln.

Dies kann nicht nur, wie zum Beispiel bei den Bergbauern im Epirus, helfen, die Hirtentradition zu bewahren und zu stärken, ein solcher Ansatz führt zu einer nachhaltigen Wertschöpfung im ländlichen Raum. Die sanften Nutzungsformen und die besondere Verbundenheit der Menschen mit ihrer Heimat sind auch die Grundlage für die arten- und strukturreiche Landschaft, die zu einem einmaligen Erlebnis für Besucher wird. Die neuen Angebote sollen auf dem Vorhandenen aufbauen mit den übergeordneten Zielen: Erhalten und Reaktivieren, wenn es zum Beispiel um die Widerbelebung alter aufgegebener Bausubstanz geht. Angebote im Bereich Naturerlebnis in Verbindung mit regionalen Produkten können zu einer Bewahrung dieser für die Bergwelt typischen Landnutzungskultur werden und den dort lebenden Menschen ein Auskommen sichern, um so auch einer "Landflucht" vorzubeugen.

Für den Genießer, der Landschaft schmecken will, gibt es ein vielfältiges Angebot an regionalen Köstlichkeiten in fester und flüssiger Form. Es gibt aber auch etwas ganz Besonderes, und zwar den schwarzen und den weißen Trüffel. Die Region Epirus gehört zu den Regionen Europas mit dem größten Vorkommen dieser Spezialität, und es sind die vierbeinigen Helfer, die eine erfolgreiche "Schatz-suche" zu einem einzigartigen Natur- und Gaumenerlebnis machen.

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stichwort Im Rahmen eines Berater-Vertrages für die Deutsch-Griechische-Versammlung beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist Ex-Staatssekretär Klaus Borger zuständig unter anderem für nachfolgende Schwerpunktthemen im Bereich der Regionalentwicklung : Ökologische Landnutzung (insbesondere Land- und Waldwirtschaft); Anpassungsstrategien der Landnutzung an den Klimawandel; Aus- und Fortbildung im Bereich Landnutzung; Entwicklung von Vermarktungsstrategien für regionale Produkte aus Land- und Forstwirtschaft sowie des Obst-, Garten- und Weinbaus und Aufbau von Partnerschaften; Entwicklung von Konzepten zur Förderung des naturgebundenen Qualitätstourismus; Konzepte für ganzheitliche Ressourcennutzungsstrategien (Erneuerbare Energien, Stoffstrommanagement); Kooperation mit Peripherien, Ministerien in Griechenland. Borger berät dabei auch staatliche und nichtstaatliche Organisationen und private Unternehmen im Bereich der Regionalentwicklung . red

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 Bei der Trüffelsuche helfen Hunde ganz eifrig mit.

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 Hochwertiges Olivenöl ist eines der typischen Erzeugnisse der Region im Nordwesten des Landes.

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 Eine gefragte Spezialität aus Epirus sind schwarze Trüffel.

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 Idyllisch gelegen: das quirlige Fischerdörfchen Parga.

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 Beste Wassersportbedingungen herrschen am Golf von Artra. Fotos: Klaus Borger/Professor Theo Eberhard

Beste Wassersportbedingungen herrschen am Golf von Artra. Fotos: Klaus Borger/Professor Theo Eberhard

hintergrund Unter der Bezeichnung Deutsch-Griechische Versammlung (DGV) hat sich innerhalb weniger Jahre ein Netzwerk aus Kommunen, Zivilgesellschaft und Wirtschaft entwickelt. Die Grundlage der DGV bildet die Vereinbarung zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem ehemaligen Ministerpräsidenten Georgios Papandreou vom 5. März 2010, deren Ziel die Vertiefung der bilateralen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Griechenland auf allen Ebenen ist. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Hans-Joachim Fuchtel , wurde von der Bundeskanzlerin Ende November 2011 zum Beauftragten für die DGV ernannt. Im Mittelpunkt der DGV steht die konkrete Zusammenarbeit zwischen deutschen und griechischen Kommunen, Regionen und Bürgern. Dabei steht nicht die "hohe" Politik im Vordergrund, sondern die Bewältigung der sich unmittelbar aus der kommunalen Praxis aufdrängenden Probleme. red

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