„Eine weitergegebene Kiste Essen ist schon ein Erfolg“

Saarbrücken · Die Zahl der Menschen, die Essen bei der Tafel abholen müssen, wächst seit Jahren. Mit den Flüchtlingen stieg sie so stark an, dass mancherorts die Lebensmittel knapp werden. Die ursprüngliche Idee der Tafeln rückt zunehmend in den Hintergrund.

 Roland Best

Roland Best

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 Frank Paqué

Frank Paqué

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 Wolfgang Edlinger

Wolfgang Edlinger

Foto: Jungfleisch

Der Andrang bei den Tafeln im Saarland wächst. Die Flüchtlingskrise 2015/16 ließ die Zahlen vielerorts rasant nach oben schnellen, doch schon in den Jahren zuvor kamen immer mehr Menschen. Von den elf saarländischen Tafeln, die im Bundesverband Deutsche Tafel organisiert sind, gibt es nur in Wadern, Lebach, Dillingen und Saarlouis keine Probleme. "Saarlouis kommt langsam an seine Grenzen, aber wir müssen niemanden abweisen", sagt Hermann-Josef Niehren, der bei der Caritas für die vier Tafeln zuständig ist.

Die anderen Tafeln gehen unterschiedlich mit dem Andrang um. Während die einen versuchen, niemanden fortzuschicken und stattdessen nur noch alle zwei Wochen statt jede Woche Lebensmittel ausgeben, führen andere Wartelisten oder haben einen Aufnahmestopp verhängt. Besonders dramatisch ist die Lage in Saarbrücken. Rund 4000 Menschen werden hier inzwischen versorgt. Im vergangenen Jahr kamen laut Linda Hemmerling vom Verein Saarbrücker Tafel fast 1000 neu dazu. Ein halbes Jahr lang nahmen sie keine Menschen mehr auf. "Wir waren sehr unglücklich darüber, dass so viele Leute warten und wollten die Lebensmittel gerechter verteilen", sagt Hemmerling. Deshalb wurden die Ausgabetermine reduziert, wie auch in Homburg, St. Ingbert und Neunkirchen.

Die Idee, die ursprünglich hinter der Gründung der Tafeln stand, war, zu verhindern, dass Supermärkte Lebensmittel wegschmeißen, und sie an die weiterzugeben, die sie bitter nötig haben. Im Lauf der Jahre ist diese Idee in den Hintergrund gerückt. Die Tafeln sind zu unverzichtbaren Institutionen im Sozialsystem geworden. Die Jobcenter schicken Menschen gezielt zu den Tafeln. "Wir sind der Notnagel im Wohlfahrtsgefüge, das war ursprünglich nicht der Sinn der Tafel", sagt Roland Best von der Homburger Tafel. "Da ist uns eine Bürde auferlegt worden, die uns zwickt."

Dass das eigentlich nicht richtig sein kann und die Politik gefragt wäre, denken sie alle. Doch viele bringen es nicht übers Herz, Menschen abzuweisen. Erschwerend kommt hinzu, dass es schwieriger geworden ist, Ehrenamtliche für die körperlich anstrengende Arbeit zu gewinnen. Saarbrücken, Völklingen und Homburg suchen händeringend Helfer.

Frank Paqué von der Merziger Tafel hält es für einen Fehler, dass sich die Tafeln in eine Rolle drängen lassen, die eigentlich dem Staat zusteht, und hält strikt an der Grundidee fest: "Ich freue mich über die 500 Menschen, denen ich helfen kann. Aber ich bin nicht traurig über den 501., dem ich nicht helfen kann." Es ärgert ihn, dass der Fokus zunehmend darauf liegt, was die Tafeln nicht mehr schaffen, statt darauf, was sie Tag für Tag leisten: "Wir haben elf erfolgreich arbeitende Tafeln im Saarland. Sobald nur eine Kiste Essen weitergegeben wird, ist es ein Erfolg." Er nimmt keine Stammkunden mehr auf, genau wie St. Wendel, wo es eine Warteliste gibt, und Völklingen, wo die Tafel die Menschen "vertrösten" muss, wie Leiter Franz Reinhard Daschmann sagt.

Ursprünglich sollten die Tafeln auch nur eine Hilfe auf Zeit sein. Aber: "Viele Menschen verlassen unser System nicht mehr", sagt Sabine Altmeyer-Baumann vom Landesverband der Tafeln Rheinland-Pfalz und Saarland. Wolfgang Edlinger, Vorsitzender der Saarländischen Armutskonferenz, überrascht das nicht: "Wir weisen schon länger darauf hin, dass immer mehr Menschen am Rande des Existenzminimums leben." Vor allem die Armut bei älteren, alleinstehenden Frauen werde in den nächsten Jahren massiv zunehmen, warnt er. Notwendig seien höhere Sozialleistungen und ein eigener Hartz-IV-Regelsatz für Kinder.

Tatsächlich steigt die Armutsrisikoquote im Saarland seit Jahren an. 2014 lag sie bei 16,1 Prozent. Das Landessozialministerium überarbeitet derzeit den Aktionsplan zur Armutsbekämpfung. Die Tafeln unterstützt es nach eigenen Angaben mit einzelnen Spendenaktionen oder indem es einzelne Projekte, etwa den Kauf von Hard- und Software, fördert. noe

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