Ein Zermürben der Leidenschaften

Saarbrücken. Aus dem Körnchen Wahrheit wird ein Sandberg, in dem man erstickt. Der ist gleichzeitig Sanduhr, die Vergeblichkeit unseres Tuns im Laufe der Zeit dokumentierend. Trost und Hoffnung, Fehlanzeige

Saarbrücken. Aus dem Körnchen Wahrheit wird ein Sandberg, in dem man erstickt. Der ist gleichzeitig Sanduhr, die Vergeblichkeit unseres Tuns im Laufe der Zeit dokumentierend. Trost und Hoffnung, Fehlanzeige. "Glückliche Jahre", ein Stück von Ex-Regisseur Bernd Reutler, war im ordentlich besuchten Theater im Viertel zu sehen, eine szenische Lesung mit Alice Hoffmann und Reutler selber. Das Stück ist um Becketts "Glückliche Tage" zentriert, nimmt in Zitaten und Videoeinspielungen Bezug. Wo Becketts Paar enttäuscht und selbstbetrügerisch nebeneinander vegetiert, kommt hier ein Paar zusammen, das sich für ganz anders hält. Er (Reutler), Theaterkritiker Michael, emotional, eloquent und unbedingt. Sie, seine Diana, ein Gegenentwurf zu Becketts Winnie, zielstrebig, eine tatkräftige Krankengymnastin. Glückliche Jahre verbringen sie zu zweit, bis Dianas Körper schlapp macht und sie nach einer Operation zum Pflegefall im Rollstuhl wird. Nun steckt auch sie fest, nun wartet auch sie. Auf was, auf ein Ende? Doch Diana ist illusionslos (überzeugend: Alice Hoffmann), ihre Hilflosigkeit schürt ihren Zorn. Sie verändert sich, wird eine Fremde für Michael und für sich selbst. Konsequent hat Reutler für heillose Verstrickungen und ausgelieferte Existenzen à la Beckett eigene Bilder gefunden. Die Pflegebedürftige und ihr Betreuer, ihr Bewacher, beide in ihre Rollen gebannt. Die Jämmerlichkeit sentimentaler Anfälle, das Zermürben von Leidenschaften in ausweglosen Situationen oder schlicht am Leben selbst und seinen Unwägbarkeiten. Dazu streut Reutler Kritik an seelenlosem Bürokratismus und Patientenverwahranstalten. Bei der Lesung werden darstellerische Mittel verhalten eingesetzt, schlicht durch Körperhaltung macht Hoffmann ihre Qual im Rollstuhl plastisch. Sie ist eine Gefangene, nun genauso isoliert und an ihrem Platz festgefroren, wie eine Beckett'sche Figur. Die schöne Welt zerfällt, die glückliche Jahren sind vorbei. Dass Diana irgendwann wieder gehen kann, rettet wenig. Der offene Schluss mag Hoffnungszeichen sein oder auch nicht. Immerhin liegt der Revolver in Reichweite.

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