Ein Staat, wo Bildung vorenthalten wurde

Saarbrücken. Um "Die Entwicklung der Pop- und Rockmusik in der DDR" ging es am Donnerstagmittag im neuen Musiksaal der Marienschule in der Hohenzollernstraße

 Gelebte Politik- und Musikgeschichte: Kay Frotscher in der Marienschule. Foto: Oliver Dietze

Gelebte Politik- und Musikgeschichte: Kay Frotscher in der Marienschule. Foto: Oliver Dietze

Saarbrücken. Um "Die Entwicklung der Pop- und Rockmusik in der DDR" ging es am Donnerstagmittag im neuen Musiksaal der Marienschule in der Hohenzollernstraße. Im Rahmen des Seminarfachs zur Vorbereitung auf Studium und Beruf waren hier Schüler der Klassenstufe elf versammelt - eineinhalb Stunden lauschten sie gebannt dem Gast des Tages: Kay Frotscher, Mitgründer der einstigen ostdeutschen Folkgruppe "Liedehrlich", war eigens aus Berlin angereist und bot spannende Einblicke in das Alltags- und Musikleben der DDR.

Mit den haarsträubendsten Begründungen wurden dort Lieder des 1978 von Frotscher mit Jürgen Quarg und Stephan Krawczyk formierten Trios verboten. Liedehrlich hatten sich zunächst alten Volksweisen gewidmet und wurden in den 80er Jahren, so Frotscher, "politisch wesentlich frecher". Nachdem Krawczyk 1983 das mit über 100 Auftritten im Jahr viel beschäftigte Ensemble verlassen hatte und Frotscher und Quarg mehrere Jahre als Duo weitergemacht hatten, kam 1987 das Aus. Denn Frotscher hatte von der DDR endgültig die Nase voll und stellte erfolgreich einen Ausreiseantrag.

Nur zweierlei sei gut gewesen, spöttelt rückblickend der 1952 in Erlabrunn im Erzgebirge geborene Musiker: "Der Name des Staates war recht schön; nur war der weder demokratisch noch eine Republik - gut waren auch die politischen Witze." Hauptvorwurf des kurzweilig und pointiert erzählenden Zeitzeugen: "Ich bin in einem Staat groß geworden, wo Bildung vorenthalten wurde." In einem liberalen, christlich geprägten Elternhaus aufgewachsen, brauchte der Sohn einer Opernsängerin zwar nicht zu den Jungen Pionieren und der "Freien" Deutschen Jugend (FDJ), brachte es deswegen aber nur über Serpentinen-ähnliche Umwege zu einem - selbst finanzierten - Fernstudium der Kulturwissenschaften.

Eigentlich wollte Frotscher Journalist werden, tatsächlich wurde er Buchdrucker, kümmerte sich zeitweise um die Weiterbildung von Amateurmusikern und arbeitete im bekannten Puppentheater Gera. Eindringlich auch seine Schilderung vom Tag des Mauerbaus 1961, der den regelmäßigen S-Bahn-Fahrten mit der Mutter von Potsdam nach Westberlin ein jähes Ende setzte.

Obgleich auch an westlicher (über Rias Berlin) und östlicher Rockmusik ("Es gab DDR-Rockgruppen, die gute Texte machten") interessiert, fühlte er sich von Anfang an zur Liedermacher-Zunft, zum Geschichten-Erzählen und zur akustischen Gitarre hingezogen. Für die Marienschülerinnen und -schüler griff der Barde denn auch in die Nylonsaiten und sang einige Melodien, darunter ein anrührendes, seinerzeit brisantes deutsch-deutsches Liebeslied über ein Mädchen aus Frankfurt am Main. Erfreut nutzten einige Gymnasiasten anschließend noch die Gelegenheit zu Blicken in Frotschers Pretiosen-Sammlung mit Schallplatten der DDR-Firma Amiga bis hin zu Stasi-Vermerken über "Liedehrlich".

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