Ein Plädoyer für Barrierefreiheit

Saarbrücken · Die Kaltenbachstraße am St. Johanner Markt, seit über zwei Jahren Baustelle, soll wieder ihr Kopfsteinpflaster erhalten. Ein schönes, dem nichts fehlt, was das alte hatte, und das dennoch auch Menschen mit Handicap einen schmerzfreien Aufenthalt ermöglicht. Weil die Straße richtig barrierefrei sein soll und nicht nur ein bisschen.

 Paul Schneider

Paul Schneider

 Dunja Fuhrmann, Saarbrücker Gesamtbehindertenbeauftragte, und Bauingenieur Bernd Eichenseer setzen sich für Barrierefreiheit am St. Johanner Markt ein. Fotos: Robby Lorenz

Dunja Fuhrmann, Saarbrücker Gesamtbehindertenbeauftragte, und Bauingenieur Bernd Eichenseer setzen sich für Barrierefreiheit am St. Johanner Markt ein. Fotos: Robby Lorenz

Der St. Johanner Markt und sein Kopfsteinpflaster, da sind sich wohl alle Saarbrücker einig, gehören untrennbar zusammen. Das Fortbewegen auf den Steinen und ihre Sauberhaltung mit Kehrbesen mag beschwerlich sein, aber der Platz und seine Nebengassen beziehen ihr Flair maßgeblich aus dem Naturstein. Mit der vor zweieinhalb Jahren begonnenen und unerwartet zäh verlaufenden Sanierung der Kaltenbachstraße, die immer noch als Flickstück-Provisorium daliegt, ist ein Verdacht aufgekommen: Um der "Behindertengerechtigkeit" willen werde das einstmals schöne Pflaster, das eingelagert und ein denkmalgeschütztes Kunstwerk gewesen sei, zugunsten einer Asphaltdecke geopfert, und dahinter stecke die Lobby der Behinderten-Interessenvertreter. Ein Vorwurf, den Dunja Fuhrmann, die Gesamtbehindertenbeauftragte der Landeshauptstadt und Vorstandsmitglied im Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter (BSK), beim Redaktionsbesuch unserer Zeitung empört zurückweist: "Nie hat jemand Asphalt gefordert. Wir wollen das Flair der Pflasterstraße erhalten und sie dennoch barrierefrei machen, zum bestmöglichen Nutzen für alle", sagt die Ehrenamtlerin - und ärgert sich erneut über "nichtssagende Begriffe wie rollstuhltauglich und behindertenfreundlich". Baurechtlich definiert und sogar mit einklagbaren Inhalten behaftet sei allein der Begriff "Barrierefreiheit".

Bauingenieur, Maurermeister, Tiefbautechniker und SPD-Kommunalpolitiker Bernd Eichenseer, der den BSK als Bausachverständiger berät, hat sogar einen Planungsvorschlag erarbeitet, der als Grundlage für die Sanierung der 65 Meter langen Kaltenbachstraße dienen könnte. Seine Ideen weichen von den bisher bekannt gewordenen der Stadtplaner ab, das Ganze droht unnötigerweise zum Politikum zu werden. Wobei sich den Behindertenvertretern nicht erschließt, wieso die Theoretiker aus dem Dezernat von Rena Wandel-Hoefer besser über Bedürfnisse der Gehandicapten Bescheid wissen sollten als diese selbst. Beispiel Blindenleitlinie im Boden: Im Plan der Stadt befindet sie sich nahe der Häuserzeile, aus der Straßenverkauf von Speisen stattfindet. Folge: Der Blinde müsse sich mit dem Stock quasi "durch die 200 Füße der Wartenden klopfen, das ist unzumutbar für alle". Seine Idee: Die Linie in die Mitte, und zwar hell, damit Sehbehinderte sich orientieren können. Der Ingenieur beteuert, dass der BSK-Plan nicht nur praktikabel (geschnittene Steine mit wenig Unebenheit) und ästhetisch gelungen sei, er berücksichtige auch die Interessen der Ladeninhaber und Gastronomen - und nicht unwichtig: Er sei billiger als der Vorschlag der Stadt. Die wolle nämlich handsortiertes Pflaster statt Massenware.

Prominenter Mitstreiter von BSK und Behindertenbeirat ist der Bildhauer Professor Paul Schneider, quasi der Schöpfer des Pflasters der Kaltenbachstraße in den 1970er Jahren. Schneider stellt klar, dass der Belag mitnichten "Kunst" gewesen sei, sondern lediglich unter seiner Aufsicht nach alter Pflasterertechnik verlegt. Und selbst wenn: "Man kann nicht auf Kunst bestehen, wenn sie im Weg ist und wenn man flexibel sein muss, man entwickelt sich doch", meint der Urheber.

Sehr wohl ein Kunstwerk ist aber nach herrschender Meinung Schneiders Steinmuster an der Nahtstelle Kaltenbachstraße/St. Johanner Markt, das eingelagert ist und nach Eichenseers Zeichnung wieder im Original eingebaut würde. Der 88-jährige Steinbildhauer ist nicht sicher, ob das beim städtischen Vorschlag auch so sein würde, ihm erscheint deren Version "gezoomt", also verkleinert. Warum nur? Und warum Bäume in die Kaltenbachstraße, die im Original nie welche hatte? Die drückten nämlich das Pflaster hoch. Hart geht er mit Baudezernentin Rena Wandel-Hoefer ins Gericht: "Was sie hier vorhat, funktioniert nicht. Sie darf merken, dass sie vor einer Wand steht. Und ich bin die Wand."

Noch lieber wäre dem streitbaren Künstler aber, wenn es endlich zu dem "runden Tisch" aller Interessen käme, den die Dezernentin im Januar im Bauausschuss des Stadtrats versprach, den es bisher aber nie gab.

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