Ein Auto ist kein Muss mehr

Saarbrücken · Saarbrücken ist die deutsche Großstadt mit der größten Autodichte. Insgesamt sind in der Stadt 78 524 Pkw zugelassen. Doch es gibt Alternativen zum eigenen Auto: Man teilt sich einfach eines mit anderen. Wer in Saarbrücken wohnt und arbeitet, könnte eigentlich das Auto zuhause lassen. Das macht nur fast niemand. Die Stadt liegt beim Radverkehr weit hinter dem Bundesdurchschnitt. Das soll sich ändern.

Saarbrücken. "Ohne Auto? Geht das"? Ja, das geht, besonders in Städten. Das Saarbrücker Ehepaar Elena und Harald Kreutzer versucht gerade, seine Nachbarn Am Homburg dafür zu begeistern, sich ein Auto zu teilen. Carsharing nennt sich das dann. Entweder man teilt sich die Kosten für ein Auto mit Freunden und Nachbarn, oder man greift auf ein Miet-Angebot von sogenannten Carsharing-Unternehmen zurück.Die gibt es auch in Saarbrücken. In einer Stadt, die im deutschlandweiten Vergleich eine hohe Autodichte besitzt. In Berlin beispielsweise ist die Autodichte am geringsten: Auf 1000 Berliner entfallen 289 private Pkws.

Anders sieht es in Saarbrücken aus: Im Januar 2012 waren in der Landeshauptstadt 508 Autos auf 1000 Privatpersonen zugelassen. Insgesamt 78 524 Autos. 1000 mehr als im Vorjahr. Das Carsharing-Unternehmen Cambio ist seit 2000 in Saarbrücken. "Wir haben 18 Autos, verteilt auf sechs Stationen in zentraler Lage", sag Bereichsleiter Jörg Stenzhorn (46) auf dem Parkplatz hinter dem Haus der Zukunft.

"Jeder Kunde bekommt eine Chipkarte." Stenzhorn hält die Karte an ein Lesegerät hinter der Windschutzscheibe. Die Zentralverriegelung springt auf. Im Handschuhfach liegt ein Bordcomputer. Daran baumelt der Zündschlüssel. "Jetzt noch die Pin eingeben, und los geht's." Die Kosten ergeben sich aus Zeit- und Kilometerpreis und dem gewählten Tarif. Gebucht wird telefonisch, über eine App oder im Internet.

Sprecherin Bettina Dannheim ist zufrieden mit der Entwicklung: Die Kundenzahl stieg "seit Januar 2011 von 613 auf 760 Kunden im Juli 2012" an. Trotzdem gehöre Saarbrücken mit 178 000 Einwohnern und 18 Autos "zu den kleineren Cambio-Städten". Seit 2010 bietet die Bahntochter DB Rent mit "Flinkster" drei Autos zum Carsharing an. Und auch Privatleute vermieten auf Portalen wie "rent-n-roll.de" oder "tamyca.de" ihr Fahrzeug.

Elena und Harald Kreutzer hätten Carsharing-Angebote gern direkt in der Nachbarschaft. "Wäre doch toll, wenn hier oben eine Station stünde. Wir leihen uns in unregelmäßigen Abständen ein Cambio-Auto für Kurzausflüge, oder um etwas zu transportieren", sagt die 31-jährige Doktorandin. Ein eigenes Auto hat das Paar nicht. Viele könnten sich den Alltag ohne Pkw nicht vorstellen. "Bei uns klappt das gut. Wir haben nicht das Gefühl, auf etwas zu verzichten", sagt ihr Mann (34). Elena fügt hinzu: "Als ich schwanger war, kam von Freunden und Familie immer: ,Jetzt braucht ihr aber ein Auto. Mit Kleinkind geht's nicht ohne.'"

Mittlerweile ist Lionel acht Monate alt, und die Stadtwohnung ist ausgetauscht gegen eine ruhigere Bleibe am Homburg. Ein eigenes Auto parkt immer noch nicht vor der Tür, und das, obwohl die Geisteswissenschaftlerin gerade in der Doppel-Promotion an der Saar- Uni und der Luxemburger Universität steckt und deshalb häufig ins Nachbarland fährt.

"Nach Luxemburg fahre ich vom Hauptbahnhof mit dem Bus. Das dauert etwa eine Stunde und 15 Minuten." Harald Kreutzer fährt jeden Tag mit dem Rad ins Büro. "Früher", beschreibt der 34-Jährige, "ernteten wir häufig Stirnrunzeln, wenn wir erzählten, dass wir kein Auto besitzen. Heute interessieren sich die Leute. Sie fragen nach, wollen wissen, wie der Alltag funktioniert. Ich denke, dass sich das Bewusstsein langsam verändert: Auto ist kein Muss mehr."


Saarbrücker scheuen sich, aufs Rad umzusteigen

Saarbrücken. Saarbrücken ist eine Autofahrer-Hochburg. Nur vier Prozent beträgt der Anteil der Radfahrer am Verkehr. Damit liegt die Stadt weit hinter dem Bundesdurchschnitt, der bei zwölf Prozent liegt. Die Gründe sind vielfältig: Viele Pendler strömen aus dem ganzen Saarland und der Großregion in die Stadt, und für eigentlich Radwillige ist Saarbrückens Topografie ein großes Hemmnis. Zudem ist es für Radfahrer nicht einfach, sich in der Stadt zu bewegen. Fehlende Radwege, gefährliche Straßenabschnitte und wenig Akzeptanz bei Fußgängern und Autofahrern machen das Radeln in der Stadt zusätzlich schwer.

Der Saarbrücker Stadtrat will das ändern. Auf zehn Prozent soll der Anteil der Radfahrer im Straßenverkehr steigen. Dafür wurde Verkehrsexperte Rainer Bier im vorigen Jahr als Fahrradbeauftragter für Saarbrücken eingestellt.

In der Innenstadt sind bereits Ergebnisse zu sehen. Hier wurden in den letzten Monaten viele neue Fahrradständer aufgestellt. Im Kaiserviertel seien zum Beispiel aus 25 Stellplätzen 90 geworden, heißt es aus dem Rathaus. Weitere neue Plätze gäbe es an der Europa-Galerie und am St. Johanner Markt. Nach Aussagen von Stadtsprecher Thomas Blug wird in Saarbrücken zudem gerade weiter kräftig am Ausbau von Radwegen gearbeitet: so in der Metzer Straße, Talstraße, Lebacher Straße, Dudweilerstraße, Meerwiesertalweg/Schützenstraße, an der Kreuzung Feldmannstraße, in der Saarbrücker Straße in Dudweiler und am Fischbachtalradweg im Rahmen des EU-Projektes "Velo visavis".

Doch um die erklärten Ziele zu erreichen, müsse mehr kommen, meinte Fahrradbeauftragter Rainer Bier bei seinem Einstand im vorigen Jahr: Zehn Prozent Radfahreranteil seien nur zu schaffen, wenn man massiv in den Straßenraum eingreift und richtig Geld in die Hand nimmt. "Die 500 000 Euro im Haushalt sind zu wenig."

Thomas Blug konnte auf SZ-Anfrage nicht beziffern, wie hoch die Ausgaben für die Rad-infrastruktur seien. Grund: Meist seien sie Teil größerer Baumaßnahmen. Geplant sei aber ein engmaschiges, zusammenhängendes Wegenetz.

 Die besten Fahrradwege nutzen wenig, wenn Autos, wie hier in der Bleichstraße, sie zuparken. Foto: Becker&Bredel

Die besten Fahrradwege nutzen wenig, wenn Autos, wie hier in der Bleichstraße, sie zuparken. Foto: Becker&Bredel

Biers Versuch, ein Fahrradverleih-System zu etablieren, hatte die Verwaltung vergangenes Jahr abgelehnt und auf die Bundeszuschüsse verzichtet. Sie hatte Angst vor zu hohen Folgekosten.

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