Düstere Zeiten für hellen Klang

Mainz/Trier/Saarbrücken · Das Läuten von Kirchenglocken: Überflüssiges Relikt oder wichtiger Bestandteil christlich-abendländischer Tradition? „Zu laut“, fanden lärmempfindliche Anwohner und kämpften für ein nächtliches Aussetzen.

 Kirchengeläut schlägt manchen Anwohnern aufs Gemüt. Ab und an müssen sich sogar Gerichte mit der Frage beschäftigen, wie laut eine Glocke schlagen darf.Foto: dpa

Kirchengeläut schlägt manchen Anwohnern aufs Gemüt. Ab und an müssen sich sogar Gerichte mit der Frage beschäftigen, wie laut eine Glocke schlagen darf.Foto: dpa

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Bald schweigen nachts die Kirchenglocken im Darmstädter Paulusviertel. Es ist eine der besten Wohngegenden der Stadt - mit streitbaren und lärmempfindlichen Bürgern. Ein Neubau des Fußballstadions am nahe gelegenen Böllenfalltor scheiterte kürzlich auch an Lärmschutzauflagen und den Bedenken einiger Anwohner. Nun sorgten deren Beschwerden dafür, dass die evangelische Kirchengemeinde den Uhrschlag ab dem 1. September während der gesetzlichen Nachtruhe aussetzt. "Wichtig ist uns ein gutes Zusammenleben im Viertel", sagt Pfarrer Raimund Wirth.

Dass sich Anwohner am Läuten von Kirchenglocken stören, kommt immer wieder vor, wie eine Umfrage in den Landeskirchen und Bistümern in Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland ergab. "Derzeit gibt es einige Beschwerden, die Vorjahre waren da schon etwas ruhiger", sagt etwa Thomas Wilhelm, Glockensachverständiger der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Auch der Sprecher der Evangelischen Kirche der Pfalz, Wolfgang Schumacher, räumt ein, dass sich Anwohner von Zeit zu Zeit bei den Gemeinden über das Läuten beklagten. Dies gehöre jedoch nicht zum Alltag.

Beschwerden wegen Kirchengeläut sind Pfarrer Gerhard Koepke aus St. Wendel dagegen fremd. Seit 1999 ist er Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Saar-Ost und weiß auch nichts Vergleichbares aus den insgesamt 15 Kirchengemeinden , die der Kirchenkreis umfasst, zu berichten. "Ich glaube, das hat auch damit zu tun, dass dieser Kirchenkreis eher ländlich geprägte Gebiete umfasst", sagt er. Dort seien die Menschen enger mit dem Brauchtum verbunden.

Einen richtigen Beschwerde-Überblick kann Koepke jedoch nur schwer geben, denn "das regeln die Kirchengemeinden direkt vor Ort". "Wenn eine Beschwerde große Wellen geschlagen hätte, wäre sie aber an mich herangetragen worden", sagt Koepke. Sollte es zu Beschwerden wegen Kirchengeläut kommen, rät er der betroffenen Kirchengemeinde zu einer offenen Versammlung: "Das sollte man nicht im stillen Kämmerlein verhandeln - und man sollte die Beschwerden der Anwohner ernst nehmen." Er selbst finde es zwar schöner, wenn die Glocken durchgängig läuten, "aber wenn man feststellt, dass dieses Brauchtum überflüssig geworden ist, dann muss man das ernst nehmen", sagt Koepke.

Wenn einem Anwohner die Glocken zu laut läuten, wird normalerweise ein Glockensachverständiger entsandt. Der misst dann den Lärmpegel, wie Diözesankirchenmusikdirektor Thomas Drescher vom Bistum Mainz erklärt. "In der Regel entsprechen die Schallwerte den gesetzlichen Vorgaben", sagt er. Wenn das nicht der Fall sei, was vor allem bei älteren Anlagen vorkommen könne, werde die Gemeinde aufgefordert, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. "Meist muss dann die Verbretterung der Schallläden im Glockenturm verstärkt werden." Zudem kann man den Glockenschlag selbst dämpfen, wie Wilhelm erklärt: Entweder können die Schlaghämmer in den Glocken mit Magneten so gesteuert werden, dass das Läuten in der Nacht leiser ist. Oder aber man verwendet zwei verschiedene Hämmer für Tag und Nacht.

Für viele Gläubige spielen Kirchenglocken nach wie vor eine große Rolle. "Das zeigt sich etwa daran, dass Menschen sich für den Erhalt oder die Restaurierung der Kirchenglocken - auch finanziell - einsetzen und nach wie vor Glockenweihen gefeiert werden", sagt etwa Judith Rupp vom Bistum Trier .

Das Läuten während des Gottesdienstes oder zu bestimmten Gebetszeiten ist von der Religionsfreiheit geschützt. Für den Zeitschlag greifen dagegen die Lärmschutzrichtlinien. In der Darmstädter Paulusgemeinde lag der Zeitschlag über den Grenzwerten. "Die Glocke generell zu dämpfen und damit den Charakter des Stundenschlags zu verändern und ihn damit auch am Tag in manchen Bereichen des Paulusviertels unhörbar zu machen, kam für uns nicht in Frage", sagt die stellvertretende Vorsitzende des Kirchenvorstandes, Katharina Rauh. Erwogen habe man kurzzeitig, einen eigenen Nachthammer zu installieren. "Aber ein solchermaßen ‚kastrierter' Stundenschlag war aus Sicht des Kirchenvorstandes nichts Halbes und nichts Ganzes", erklärt Rauh. Zudem werde die Rechtsprechung immer strenger. "Ein Nachthammer hätte womöglich so stark dämpfen müssen, dass der nächtliche Stundenschlag kaum noch hörbar wäre."

Auf einen Rechtsstreit wollte man es ohnehin nicht ankommen lassen. Man habe das Ruhebedürfnis der Anwohner höher gewichtet als den Wunsch, die Glocken auch während der Nacht zu hören, sagt Pfarrer Wirth. Die Entscheidung halte er für richtig. Persönlich werde er den nächtlichen Stundenschlag jedoch vermissen, räumt er ein.

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Hintergrund Bei der juristischen Beurteilung einer möglichen Lärmbelästigung durch Kirchenglocken muss unterschieden werden, ob es sich um sakrales oder nicht-sakrales Glockenläuten handelt. Sakral bedeutet heilig, religiös und bezeichnet das Läuten, das zu Gebetszeiten oder während des Gottesdienstes ertönt. Aufgrund der Religionsfreiheit ist die Tradition des sakralen Läutens geschützt. Anders verhält es sich beim nicht-sakralen Läuten etwa bei Gefahr, zur Begrüßung des neuen Jahres - oder eben auch beim sogenannten Zeitschlag, der jede volle Stunde und manchmal sogar viertelstündlich ertönt. Obwohl dieses Läuten in europäischen Ländern eine lange Tradition hat, genießt es keinen rechtlichen Schutz. Hier greifen die Lärmrichtwerte. Wenn diese überschritten werden, kann eine Klage gegen den stündlichen Glockenschlag erfolgversprechend sein. dpa

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