Die Theater-Ermöglicher

Saarbrücken · 30 Jahre ist es her, dass Jürgen Wönne aus Berlin kam und in Saarbrücken ein kleines Zimmertheater gründete. Aus diesen Anfängen entstand das Theater im Viertel. Heute wird Geburtstag gefeiert.

 Nehmen Sie Platz: Das aktuelle TiV-Team mit festem Team und Helfer-Schar (von links): Ruth Boguslawski, Dieter Desgranges, Christoph Spanier, Julius Roth, Manfred Adami, Anna Schaefer, Veronika Häfele-Zumbusch und Florian Layes. Foto: Iris Maurer

Nehmen Sie Platz: Das aktuelle TiV-Team mit festem Team und Helfer-Schar (von links): Ruth Boguslawski, Dieter Desgranges, Christoph Spanier, Julius Roth, Manfred Adami, Anna Schaefer, Veronika Häfele-Zumbusch und Florian Layes. Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer

Damals, als alles anfing, war die Freiheit das Wichtigste, und einige Theaterabende waren die reinsten Wundertüten. Jeder durfte ran, der was zu sagen hatte oder das zumindest dachte. Es waren die frühen 80er-Jahre, auch in Saarbrücken war das Leben noch politisch, voller Auf- und Umbrüche.

"Man hat als Künstler auf Geld verzichtet, um seine Ideen in die Welt hinauszutragen", erinnert sich Dieter Desgranges im SZ-Gespräch. Wir sitzen in der winzigen Küche des Theaters im Viertel (TiV) am Landwehrplatz. Desgranges, seit vielen Jahren der künstlerische Leiter des TiV, und Veronika Häfele-Zumbusch, die unermüdliche Vorsitzende des Theatervereins. In den kleinen Büros nebenan wachsen Bücher- und Papierberge gen Himmel. Beredtes Zeugnis intensiver Theater- und Verwaltungsarbeit. Eine Tür weiter öffnet sich ein schöner Theaterraum mit ansteigender Zuschauer-Tribüne und relativ hohen Decken.
Großer Bedarf der Szene

Der Unterschied zu den Anfängen ist groß. Das TiV heute ist eine professionelle kleine Bühne für zumeist professionell aufspielende Schauspieler , Musiker, Tänzer und Performer. Das TiV vor 30 Jahren war ein gemütliches, immer ein bisschen zerzaust wirkendes Zimmertheaterchen mit niedrigen Decken und zusammengewürfelten Sitzmöbeln.

1986 wurde es von einem bärtigen, gerade aus Berlin kommenden jungen Mann gegründet: Jürgen Wönne. Ursprünglich wollte der vor allem eine Bühne für seine eigenen Stücke, oft literarische Monologe, fiebrig intensiv gespielt von "seinem" Schauspieler Thom Wolff. "Aber der Bedarf in der Szene war so groß", sagt Dieter Desgranges, "da öffnete er das Studiotheater auch für andere".

30 Jahre ist das her. Ein Jubiläum also, das seit gestern bis 5. März gefeiert wird. Und zwar unter anderem mit dem Stück "Flaiche und Blied", weil es "alles repräsentiert, was wir hier machen", sagt Veronika Häfele-Zumbusch. Es ist eine freie Theater-Produktion von Martin Huber, der in Saarbrücken lebt, und von Marlen Ulonska, die aus Berlin anreist. Also Heimspiel und Gastspiel in einem. Denn genau das ist das TiV 2016: Heimat der freien Saarbrücker Szene und außerordentlich beliebte Anlaufstelle für Gastspiele ("Der Spielplan ist schon bis Anfang 2017 voll", sagt Desgranges). "Das TiV ist heute vorrangig eine Spielstätte der freien Szene", sagt Desgranges. Ein bis zwei Eigenproduktionen macht er selbst pro Jahr. Im Herbst etwa Henning Mankells Stück "Lampedusa". Alles andere kommt von anderen. Die Neue-Musik-Initiative Ini Art ist hier zuhause. Viele freie Theater spielen im TiV ihre Premieren. Das Uni-Theater Thunis ist sehr aktiv, aber auch Vereine, Schulen und zum Beispiel die Landesaufnahme-Stelle Lebach machen hier Theater-Projekte. Die Rundumbetreuung all dieser Gruppen ist die Stärke des TiV. "Es ist immer ein Ansprechpartner da" sagt Dieter Desgranges und definiert seine eigene Rolle so: "Ich sehe mich als Theater-Ermöglicher". Wie viel Arbeit für ihn und die anderen im Team hinter diesem schlichten Satz steckt, kann man nur ahnen. Auch manche Künstler, meint Veronika Häfele-Zumbusch, "halten für selbstverständlich, was wir hier tun".

Aber das ist es nicht. Die finanzielle Ausstattung des TiV ist bescheiden. Die Stadt unterhält das Gebäude, und es gibt ein paar Zuschüsse für Gastspiele von außerhalb. Das war's. Alles Weitere muss das TiV selbst erwirtschaften. 30 Prozent der Einnahmen aller Aufführungen gehen jeweils ans Theater. Bei 60 Plätzen selbst dann nicht die Welt, wenn ausverkauft ist. Dafür arbeitet hier ein Team von fünf Leuten mit Hang zur Selbstausbeutung. Es sorgt dafür, dass das Theater läuft - von Technik, über Kartenverkauf, Büroarbeit und Künstlerbetreuung. "Wir sind so bunt zusammengewürfelt, so unterschiedlich", sagt Veronika Häfele-Zumbusch, "und es funktioniert, weil der Fokus immer aufs TiV gerichtet ist."

Ein kleines Theaterwunder war, dass das TiV trotz leerer Stadtkassen vor fünf Jahren die neue Heimat am Landwehrplatz bekam. Die neue, schickere Adresse bringt auch neues Publikum. "Und ich bekomme keine Anrufe mehr von älteren Frauen, ob sie sich nachts noch ins Viertel trauen können", schmunzelt Dieter Desgranges.

Also alles besser als vor 30 Jahren? "Besser ist das falsche Wort", meint Veronika Häfele-Zumbusch, "anders, das ja". Jede Zeit habe ihre Stärken gehabt. Unbestritten ist die Saarbrücker freie Szene heute professioneller geworden - aber sie ist auch deutlich kleiner. Und die jungen Talente gehen zu oft weg, beobachtet Dieter Desgranges. "Ich kenne allein auf Anhieb 20, 25 Schauspieler aus dem Saarland, die außerhalb spielen." Es gibt nicht genug Möglichkeiten für freie Künstler, sich angemessen zu finanzieren.

Dazu kommt, sagt er, dass die jungen Leute heute nicht mehr sesshaft sind. Klappt es nicht in Saarbrücken , sind sie schnell weg. Und es ist wohl kaum zu erwarten, dass so schnell nochmal jemand aus Berlin kommt, um hier ein Theater zu gründen.

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Auf einen BlickZum Geburtstag macht das TiV natürlich Theater. Das Stück "Flaiche & Blied" wurde gestern , als offene Vorstellung und für geladene Gäste gespielt. Am heutigen Freitag, 18 Uhr, ist nun das eigentliche Jubiläumsfest für geladene Gäste. Und am Samstag, 19.30 Uhr, steht das Stück "Miles oder die Pendeluhr aus Montreux" auf dem Spielplan. Karten und Infos: (06 81) 390 46 02.

 Lange her: Jürgen Wönne in den Gründerjahren. Foto: Wunderlich

Lange her: Jürgen Wönne in den Gründerjahren. Foto: Wunderlich

Foto: Wunderlich
 Grusel früher Tage: Vampir-Spiele mit Ulrike und Friedhelm Schneidewind. Foto: Bellhäuser

Grusel früher Tage: Vampir-Spiele mit Ulrike und Friedhelm Schneidewind. Foto: Bellhäuser

Foto: Bellhäuser
 Mit Leidenschaft und Energie spielte in den Anfangsjahren vor allem Thom Wolff im Theater im Viertel. Er hat es auch gemeinsam mit Jürgen Wönne gegründet. Foto: Steigner

Mit Leidenschaft und Energie spielte in den Anfangsjahren vor allem Thom Wolff im Theater im Viertel. Er hat es auch gemeinsam mit Jürgen Wönne gegründet. Foto: Steigner

Foto: Steigner
 Zum Geburtstag: Marlen Ulonska und Martin Huber. Foto: Spanier

Zum Geburtstag: Marlen Ulonska und Martin Huber. Foto: Spanier

Foto: Spanier
 Zum festen Künstlerstamm des TiV zählen heute auch Wollie Kaiser und Elodie Brochier von Ini Art. Hier bei ihrem Kurz-Auftritt zur Eröffnung des neuen TiV vor fünf Jahren. Foto: Iris Maurer

Zum festen Künstlerstamm des TiV zählen heute auch Wollie Kaiser und Elodie Brochier von Ini Art. Hier bei ihrem Kurz-Auftritt zur Eröffnung des neuen TiV vor fünf Jahren. Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer
 Barbara Scheck (links) und Gabriele Bernstein prägen die Theaterszene schon viele Jahre. Ihr Stück „Zwei nette kleine Damen auf dem Weg nach Norden“ lief sehr erfolgreich im TiV. Foto: Iris Maurer

Barbara Scheck (links) und Gabriele Bernstein prägen die Theaterszene schon viele Jahre. Ihr Stück „Zwei nette kleine Damen auf dem Weg nach Norden“ lief sehr erfolgreich im TiV. Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer

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Auf einen BlickOffizieller Gründungstag des Studiotheaters, das heute Theater im Viertel heißt, war der 1. März 1986. Gründungsväter waren Jürgen Wönne und Thom Wolff, Jürgen Wönne fungierte als offizieller Betreiber. Im Mai 1989 wurde die Organisationsstruktur in einen gemeinnützigen Kuturverein übertragen, den Verein Studiotheater eV. Er ist bis heute Träger des TiV, Veronika Häfele-Zumbusch ist seit 1996 Vorsitzende. Der Verein hat aktuell rund 30 Mitglieder. Mit Desgranges und Häfele-Zumbusch sind insgesamt fünf feste Kräfte im TiV aktiv. Neben den Aufführungen der freien Szene ist die Reihe "Junge Talente" ein Herzensprojekt des TiV. Am Sonntag, 20. März, 17 Uhr, liest hier die frühere Staatstheater-Schauspieleri Ilse Christine Weber Gedichte der jungen Autorin Kathrin Diener. Ebenfalls in "Junge Talente" wird am 16. Juni das Stück des in Saarbrücken lebenden Irakers Musaab Sadeq Khaleel Al-Tuwaijari "Ausgangssperre" uraufgeführt. Schwerpunkte der TiV-Arbeit sind außerdem regelmäßige Reihen wie "Federmenschen", in der jüdische Dichter vorgestellt werden, oder die Konzert-Reihe "Klezmer Spezial". Ebenfalls wichtig: der TiV-Kinderclub. bre

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