Die Sitzende - zweckentfremdet

Saarbrücken. Kunstwerke, die im Museum stehen, werden von Menschen betrachtet, die eigens gekommen sind, sie zu sehen. Kunst im öffentlichen Raum dagegen ist einfach da: Auf Straßen, Plätzen und in Gebäuden. "Manche Werke werden von vielen gar nicht wahrgenommen", weiß Professor Henry Keazor, Leiter des Kunsthistorischen Instituts der Saar-Uni

Saarbrücken. Kunstwerke, die im Museum stehen, werden von Menschen betrachtet, die eigens gekommen sind, sie zu sehen. Kunst im öffentlichen Raum dagegen ist einfach da: Auf Straßen, Plätzen und in Gebäuden. "Manche Werke werden von vielen gar nicht wahrgenommen", weiß Professor Henry Keazor, Leiter des Kunsthistorischen Instituts der Saar-Uni. Gemeinsam mit Bernhard Wehlen, der zurzeit eine Lehrveranstaltung zur "Kunst im öffentlichen Raum" an der Uni anbietet, zeigte Keazor am Mittwoch rund 20 Interessierten einige der Kunstwerke auf dem Campus. Unter dem Moto "artus unterwegs" hatte dazu der Verein "artus - junge Freunde Kunstmuseen" eingeladen, eine Initiative der Gesellschaft zur Förderung des Saarländischen Kulturbesitzes.Erste Station der Tour war Torque, die knapp 17 Meter hohe und 200 Tonnen schwere Stahlskulptur von Richard Serra, die 1993 direkt am Haupteingang zum Campus aufgestellt wurde. "Torque bedeutet Drehmoment. Es fordert den Betrachter dazu auf, um es herum- oder hineinzugehen", erläutert Keazor. Als das Werk für 960 000 Mark angeschafft wurde, hagelte es Proteste. "Inzwischen ist Torque zu einem Wahrzeichen der Universität geworden", sagt Keazor.

Dass die sechs riesigen Stahlplatten, aus denen die Skulptur zusammengesetzt ist, im unteren Bereich auch als Tafeln für Aufschriften genutzt werden, störe den Künstler nicht, ist Wehlen sicher. Im Gegenteil: "Serra will, dass die Leute ihre Zeugnisse hinterlassen, auf die Skulptur reagieren."

Auch Kunstwerke, deren Schöpfer diesen Ansatz nicht verfolgen, müssen einiges über sich ergehen lassen. So trägt die "Sitzende", eine Bronzeskulptur von Otto Zewe, die vor dem Audimax steht, zurzeit eine Plakattafel, die ihr um den Hals gebunden wurde.

Gleichwohl sieht in diesem Falle jeder, dass es sich um ein Kunstwerk handelt, im Unterschied zu der aus Keramikkacheln gefertigten Wandgestaltung am Eingang des Kunstgeschichtlichen Instituts.

Wolfram Huschens, der mit einigen Werken auf dem Campus vertreten ist, erhielt 1954 den Zuschlag. Doch seiner künstlerischen Freiheit waren in diesem Fall enge Grenzen gesetzt. Keazor: "Es gab sehr strenge Vorgaben von Seiten des Rektors der Universität und des Kultusministeriums. Gegenständliche Gestaltung war untersagt, Materialien, Formen und zu bevorzugende Farben waren festgelegt."

Ein weiteres Problem, mit dem Kunstwerke im öffentlichen Raum zu kämpfen haben: Im Idealfall exakt für einen bestimmten Ort geschaffen, laufen sie Gefahr, bei Umnutzungen oder Umbauten ihren angestammten Platz und damit zugleich ihren Sinn zu verlieren. So wurde durch die Umbauarbeiten in der Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek etwa die Skulptur "Die Lesende" obdachlos. Sie steht zurzeit im botanischen Garten.

Infos zu weiteren Veranstaltungen: Tel. (0 68 41) 10 53 91, E-Mail: info@artus-sb.de

artus-sb.de

"Manche Werke werden von vielen gar nicht wahr- genommen."

Prof. Henry Keazor

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