Die Lok, die nie zum Laufen kam

Völklingen · Die Völklinger Mythen-Jäger machen ihrem Namen alle Ehren – sie jagen Mythen nach. Nach der historischen Kinonacht im Jahre 2011, dem „Schichtwechsel“ 2012 und „Carl dem Kühnen und die Gründerzeit“ ist man nun dem legendären Geislauterner Dampfwagen auf der Spur.

Die Völklinger Mythen-Jäger sind eine stadtgeschichtliche Initiative der Volkshochschule, ein Quartett, kein Verein, bestehend aus dem Kunsthistoriker Hendrik Kersten, Susanne Rist, Horst Schillinger und Michael Samsel. Das garantiert kurze Wege und schnelle Entschlüsse. Und damit ist man ausgesprochen effektiv und auch erfolgreich: Nicht umsonst wurde man mit dem saarländischen Weiterbildungspreis ausgezeichnet.

Seit Januar laufen im historischen Wasserhochbehälter am Weltkulturerbe die Vorbereitungen für den vierten Streich. Hier entsteht still und leise ein Nachbau des berühmt-berüchtigten Geislauterner Dampfwagens.

Im Herbst soll das Projekt der Öffentlichkeit präsentiert werden. Dazu wird es erneut eine Broschüre geben. Die Publikation wird sich der Geschichte des Dampfwagens widmen, der Technik, den Gründen des Scheiterns, aber auch den handelnden Personen und ihrer Motivation - das alles vor dem Hintergrund der anbrechenden industriellen Zukunft im Saargebiet.

Das gleichfalls zum Konzept der Mythen-Jäger gehörende Reenactement, sprich Mitmach-Happening, wird in Geislautern stattfinden. Die Veranstaltung wird sich unter Beteiligung der Völklinger Bürger mit dem "Augenblick der Wahrheit" befassen, dem Moment höchster Erwartung und zugleich bitterster Enttäuschung , als die neue Technik kläglich versagte und sich mit den Mitteln der Vätergeneration nicht reparieren ließ.

Star der Veranstaltung wird natürlich der Dampfwagen selbst sein, eine Rekonstruktion aus Holz in Originalgröße. Zuvor soll über eine fortlaufende Aktualisierung der Homepage der Gruppe (www.mythen-jaeger.de ) kontinuierlich ein Spannungsbogen aufgebaut werden.

Für Anfang Oktober sind Pressekonferenz und Präsentation der Broschüre im Festsaal des Alten Rathauses in Völklingen geplant. Am Freitag, 10. Oktober, findet ebenfalls im Festsaal ein Experten-Hearing zum Thema "1819 - Mythos Dampfwagen" statt. Knapp eine Woche später startet dann samstags (18. Oktober) das große Reenactement zum Mythos Dampfwagen auf dem Gelände der heutigen Geislauterner Schloßparkschule, also fast exakt an dem Ort, wo sich die Geschichte seinerzeit abspielte.

Die erste deutsche Dampfeisenbahn, die legendäre Lokomotive Adler mit britischer Technik, fuhr 1835 von Nürnberg nach Fürth . Bereits 1816 fällte die preußische Bergbaubehörde aber den Entschluss, zur Verbesserung des Kohlentransportes einen Dampfwagen fürs Saarrevier bauen zu lassen.

1818 war die Lok fertig: Am 7. Februar 1819 traf sie, in 174 Einzelteilen zerlegt, in acht Kisten im Geislauterner Eisenwerk ein. Wäre die Bahn nach dem Zusammenbau gelaufen, wäre nicht Nürnberg-Fürth mit dem Adler, sondern Geislautern-Luisenthal mit seinem Dampfwagen wohl in die deutsche Eisenbahn-Geschichte eingegangen. Der mühsame Zusammenbau klappte zwar, aber laufen wollte die Feuermaschine nicht.

Nach etlichen Versuchen verrottete der Dampfwagen schließlich unter einem provisorischen Holzdach neben der Straße nach Geislautern. Auch eine Versteigerung misslang, weil niemand ein Gebot abgab.

Im freien Verkauf erbrachte der Dampfwagen, oder das, was von ihm übrig geblieben war, 334 Taler, sechs Silbergroschen und sieben Pfennige. Die Kurbelwelle mit Zahnrad, die Triebwelle und die Kolbenstangen wurden von einem Geislauterner Landwirt erworben, der Dampfkessel von einem Saarbrücker Konditor für seine Dampfmühle gekauft. Die Kosten von 5132 Talern wurden nach langwierigen Streitigkeiten schlussendlich vom Bergamt Bonn bezahlt. So dauerte es noch bis 1861, bis Dampfwagen, so genannte Mobbelscher, auf dem Fredericken-Schienenweg eingesetzt wurden. Und statt des Saargebiets ging das Frankenland in die Eisenbahn-Geschichte ein.

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