Die Konsequenzen von Geiz und Gier

Saarbrücken · Autor Ulrich Schneider eröffnete die Ausstellung „Auf Augenhöhe – Gesichter der Armut“ in der Stadtbibliothek mit einer Lesung.

 In der Saarbrücker Stadtbibliothek ist zurzeit die Fotoausstellung „Auf Augenhöhe – Gesichter der Armut“ zu sehen. Fotos: Pasquale D'Angiolillo

In der Saarbrücker Stadtbibliothek ist zurzeit die Fotoausstellung „Auf Augenhöhe – Gesichter der Armut“ zu sehen. Fotos: Pasquale D'Angiolillo

Es war für Ulrich Schneider eine Art Schlüsselerlebnis. Nein, nicht die Abifeier seiner Tochter, wo die Karte 60 Euro pro Nase kostet und man der Oma lieber gar nicht erst Bescheid sagt, weil es sonst noch teurer wird: "Ein Irrsinn", diese Spaltung von privatem Reichtum und Armut "im Kleinen", merkte der Autor bei seiner Lesung in der Stadtbibliothek an.

Nein, es war das Gespräch mit Hochschulstudenten, das den Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes dazu bewog, sein Buch "Kein Wohlstand für alle?!" zu schreiben. Ihnen hatte er von einer Zeit erzählt, da Wasser und Energie noch in kommunaler Trägerschaft waren, es keine Pflegeversicherung und Sonntagsbrötchen gab und Nachrichten nicht mit dem Dow-Jones-Index endeten. "Die dachten, ich erzähle einen vom Krieg." Tatsächlich ist es ein gesellschaftsumfassendes, dem als heilig geltenden Neoliberalismus geschuldetes Phänomen, vieles "für normal und alternativlos zu halten".

Früher war Gier eine Todsünde, heute ist Geiz geil. "Es wird nichts mehr hinterfragt. Das macht es so leicht, Sozialabbau zu betreiben."

In Saarbrücken leben 19 Prozent der Bevölkerung von Sozialhilfe, in einigen Stadteilen betrifft das bis zu 39 Prozent der Bewohner. Das Thema Armut ist wenig attraktiv - an einem lauen Sommerabend und überhaupt. Trotzdem waren mehr als 100 Menschen der Einladung der Arbeitskammer zu dieser speziellen Ausstellungseröffnung gefolgt. "Die Bibliothek hat ordentlich geheizt, um die soziale Kälte auszuschließen", frotzelte Moderator Wolfgang Wirtz-Nentwig. Trotz schwüler Temperaturen lauschten die Gäste gebannt den pointierten, präzise formulierten Gedankenzügen Schneiders, spendeten immer wieder Szenenapplaus und beteiligten sich rege an den Diskussionsrunden, wobei die Themen von Medienschelte über Wohlstandsbildung auf Kosten der Umweltqualität ("Das ist mein blinder Fleck" gab Scheider zu) bis hin zum bedingungslosen Grundeinkommen reichten. Letzteres findet der 58-Jährige, der im Übrigen Mitglied der Linken ist, "ungeheuer sympathisch", aber als Vision derzeit nicht praktikabel.

Die Ausstellung selbst, verteilt auf vier Etagen, zeugt vom Mut der Porträtierten - und hinterlässt zugleich ein Gefühl der Ernüchterung, so Wolfgang Edlinger, Vorsitzender der Saarländischen Armutskonferenz. Ganz aktuell habe der Regionalverband die zulässige Quadratmeterzahl für Wohngeldbezieher nach unten "korrigiert". Da kaum Wohnungen zu finden sind, die klein genug sind, müssen die Betroffenen die Differenz von ihren 409 Euro Grundsicherung draufzahlen. Gleiches gilt beim Strom. "Skandalös", findet das Edlinger. "Es bleibt ein ernüchternder Kampf um die Würde und ein Mindestmaß an Selbstbestimmung."

 Autor Ulrich Schneider. Foto: Paritätischer Wohlfahrtsverein

Autor Ulrich Schneider. Foto: Paritätischer Wohlfahrtsverein

Foto: Paritätischer Wohlfahrtsverein

Womit man wieder bei Schneider und seinen Forderungen wäre: eine egalitäre Gesellschaft mit 12 Euro Mindestlohn und, endlich, einer Vermögenssteuer, die die öffentlichen Kassen entlastet. Wie man das erreicht? "Es hilft nur Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung." Wozu die 14 von Pasquale D'Angiolillo fotografierten Frauen und Männer bereits ihren Part beigetragen haben. "Ich stehe zu meiner Armut", erklärte ein "Langzeitteilnehmer des Experimentes Harz IV". "Man muss sich selbst entanonymisieren." Ulrich Schneiders Segen hat er dafür.

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