Die guten Seelen vom Hauptbahnhof

Saarbrücken · Rund zehn Millionen Gäste nutzen nach Angaben der Deutschen Bahn jedes Jahr den Saarbrücker Hauptbahnhof. Sie fahren ab, kommen an, kaufen sich eine Fahrkarte, vielleicht noch eine Zeitung und einen Kaffee. Für viele Menschen ist der Bahnhof aber auch Arbeitsort. In unserer neuen Serie „Arbeitsplatz Hauptbahnhof“ stellen wir einige vor. Heute: Gerhard Hettrich von der Bahnhofsmission.

 Gerhard Hettrich hat stets ein Auge auf das Geschehen am Hauptbahnhof. Er arbeitet als ehrenamtlicher Helfer bei der Ökumenischen Bahnhofsmission Saarbrücken. Foto: Oliver Dietze

Gerhard Hettrich hat stets ein Auge auf das Geschehen am Hauptbahnhof. Er arbeitet als ehrenamtlicher Helfer bei der Ökumenischen Bahnhofsmission Saarbrücken. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Er habe viel Glück gehabt in seinem Leben, sagt Gerhard Hettrich, und das in jeder Hinsicht. Sowohl in der Familie des zweifachen Vaters und dreifachen Großvaters sei in 40 Ehejahren alles gut verlaufen, als auch im Beruf. "Deshalb wollte ich etwas zurückgeben", sagt der 67-Jährige. Also wandte sich der Ingenieur 2007, nach dem Ende seiner beruflichen Karriere, an die Ehrenamtsbörse, wo er auf die Bahnhofsmission aufmerksam wurde. "Zwei Wochen habe ich die Kollegen hier begleitet und ihnen über die Schulter geschaut. Danach wusste ich, das ist das Richtige für mich." Bereut habe er diesen Schritt noch nie, zumal ihm seine Tätigkeit "mehr zurückgibt, als ich investiere, eine besondere Form der Zufriedenheit".

An zwei Tagen in der Woche trifft man Hettrich am Hauptbahnhof an. Er hilft älteren Menschen beim Umsteigen, bringt sie zum Taxi oder der Bushaltestelle, sorgt dafür, dass Kinder im richtigen Zug sitzen und begleitet Menschen mit Behinderung zu ihren Anschlusszügen. Viele wenden sich schon vor einer Reise an die Bahnhofsmission, um die kostenlose Umsteigehilfe in Anspruch zu nehmen. Manche kommen auch gleich zu dem kleinen Bau auf Gleis 5, wo sich die Bahnhofsmission befindet, und bitten um Hilfe. Wieder andere "sprechen wir direkt an, wenn wir sehen, dass sie etwas ratlos auf dem Bahnhof stehen".

Hettrich ist einer von insgesamt 22 Ehrenamtlichen, die bei der Bahnhofsmission arbeiten, die Anlaufstelle für Personen aus allen Schichten und Kulturen ist. "Jeder ist hier willkommen, ganz egal, wo er in der Gesellschaft steht, welche Religion oder Staatsangehörigkeit er hat. Wer zu uns kommt, ist unser Gast." Zwar sei die Bahnhofsmission weder eine Suppenküche noch eine Wärmestube, aber eine Tasse Kaffee stehe für jeden bereit. Erlebt hat der passionierte Posaunenspieler und Volleyballer in den vergangenen sechs Jahren schon einiges. Kurioses, aber auch Tragisches. "Man weiß morgens nie, was einen erwartet", sagt Hettrich und erzählt von dem jungen Mann, der seine Oma im Zugabteil abholen wollte. Die sei allerdings bereits auf dem Bahnsteig gewesen und habe nach ihrem Neffen gesucht. Auf der Suche nach seiner Oma habe der es wiederum verpasst, den Zug rechtzeitig zu verlassen und "war plötzlich auf dem Weg nach Paris. Ohne Zwischenstopp." Also kümmerte sich Hettrich um die betagte Dame, telefonierte mit dem Neffen und sorgte dafür, dass dessen Oma auch ohne ihn gut zuhause ankam.

Traurig hingegen ist die Geschichte von der Frau aus Polen, die am Bahnhof auf ihren Mann wartete, der sie abholen wollte. "Sie musste dann hier am Handy erfahren, dass ihr Mann auf dem Weg zum Bahnhof tödlich verunglückt ist. Wir haben uns um sie gekümmert und sie versorgt. Die Frau stand unter Schock und konnte das alles kaum wahrnehmen. Das war für alle Beteiligten eine sehr schwierige Situation", erzählt Hettrich. Aber derart Dramatisches passiere eher selten.

Ihm mache die Arbeit nach wie vor viel Spaß, sagt er, und deshalb wolle er noch "ein paar Jährchen" weitermachen. Was er sich wünscht? "Dass sich mehr Menschen hier engagieren. Ich kann es empfehlen. Ehrenamt verschafft eine Befriedigung, die man sonst nicht findet."

Die Bahnhofsmission befindet sich auf Gleis 5 des Saarbrücker Hauptbahnhofs. Geöffnet ist sie montags bis freitags von 8 bis 18 Uhr, samstags von 8 bis 13 Uhr. Info: Telefon (06 81) 3 18 50.

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