Der Täter gehört zur Familie: Viele Opfer häuslicher Gewalt brauchten Hilfe der Organisation Weißer Ring

Saarbrücken · 101 Opfer von Straftaten wandten sich im vergangenen Jahr in Saarbrücken und Umgebung an den Weißen Ring. Sein ehrenamtliches Team sprang dort ein, wo die Hilfe des Staates bis heute nicht hin reicht.

Er stand doch gerade noch da. Jetzt ist der Kinderwagen verschwunden, einfach gestohlen. Das junge Paar schwankt zwischen Ratlosigkeit und Wut. Denn in einem Leben mit Hartz IV ist Mangel Alltag. Da schmerzt so ein Diebstahl umso mehr. Werner Kaspar vom Weißen Ring versteht die Verzweiflung. "Die Leute waren fix und fertig. Eine Frau kann doch ein zehn Monate altes Kind draußen nicht den ganzen Tag auf dem Arm tragen." Das muss sie auch nicht. Der Weiße Ring half. Kaspar leitet die Außenstelle Saarbrücken der Opferschutzorganisation. Sie ist eine von 420 im Bundesgebiet und zuständig für den Regionalverband Saarbrücken. Kaspar und der Öffentlichkeitsarbeiter der Außenstelle, Gerhard Ruloff präsentierten, der SZ die Jahresbilanz der Außenstelle Saarbrücken für 2015.

101 Menschen unterstützte der Weiße Ring im Regionalverband . Fünf davon brauchten Hilfe, weil Straftäter einen ihrer Angehörigen getötet hatten. 21 weitere Frauen und Männer mussten den Kampf mit den oft lange nachwirkenden Folgen eines Überfalls nicht allein durchstehen. Denn einer der zehn Ehrenamtlichen des Außenstellen-Teams war an ihrer Seite.

16 Opfer von sexuellem Missbrauch meldeten sich 2015. In 16 anderen Fällen war häusliche Gewalt , 22-mal Körperverletzung der Grund, den Weißen Ring im Regionalverband um Hilfe zu bitten. Dann waren da noch die vielen, denen ein Dieb das Leben über den Haufen warf. Zum Beispiel, weil mit dem Portemonnaie das letzte Geld und der Personalausweis weg ist. "Wie soll so ein Mensch ohne Konto und Personalausweis den Scheck für sein Arbeitslosengeld 2 einlösen? Diese Leute sind blank, die haben nichts mehr", sagt Kaspar. Nicht einmal das Geld für den Ersatzausweis. In solchen Fällen ist der Weiße Ring die letzte Rettung. Er kann Soforthilfen bis zu 250 Euro leisten. Oder, je nach Delikt, Anwaltskosten von Opfern im Strafverfahren übernehmen. Denn nicht jeder hat auf solche Hilfe einen Anspruch an den Staat. Auf 13 440 Euro beliefen sich im Regionalverband die Leistungen des Weißen Rings im vergangenen Jahr, gut 9900 Euro waren es 2014. Die Polizei informiert den Verein immer, wenn sie von einer gravierenden Straftat erfährt und das Opfer damit einverstanden ist.

Eine Kooperationsvereinbarung zwischen dem Landespolizeipräsidium und dem Weißen Ring regelt die Zusammenarbeit. Kaspar und Ruloff ist wichtig, dass der Weiße Ring bereits aktiv werden kann, bevor Opfer zur Polizei gehen. Viele wollen sich über ihre nächsten Schritte erst einmal Klarheit verschaffen.

Gesprächspartner wie Gerhard Ruloff können dafür weitere Helfer einschalten. "Wir sind Teil eines Opferschutznetzwerks", sagt Kaspar. Dazu gehören zum Beispiel der Frauennotruf Saarland für vergewaltigte und missbrauchte Frauen, Nele, die Beratungsstelle gegen sexuelle Ausbeutung von Mädchen, sowie die Beratungs- und Interventionsstelle für Opfer häuslicher Gewalt . Um die Angebote zu kennen und bei Gesetzen auf dem Laufenden zu bleiben, bilden Helfer wie Gerhard Ruloff sich fort. Doch erst einmal zählt, schnell helfen zu können. "Sobald wir von einer Straftat erfahren, setzen wir uns binnen 24 Stunden mit dem Opfer in Verbindung."

Läuft der Einsatz, dann kann er für die Ehrenamtlichen wochen- oder gar monatelang dauern. Vor allem, wenn Lücken zu schließen sind, die Opfern von Straftaten bis heute zu schaffen machen. Werner Kaspar: "Wir helfen, wo andere nicht mehr helfen." Auch damit das Opfer diese Rolle irgendwann hinter sich lassen kann.

Kontakt: Tel. (06 81) 6 73 19.

weisser-ring.de

Meinung:
Mehr für die Opfer tun

Von SZ-RedakteurFrank Kohler

Wer sich für Verbrechensopfer einsetzt, ist heute Teil eines Helfernetzes. Seine Tragfähigkeit gewährleisten die Leute vom Weißen Ring und andere Berater von Gewaltopfern. Geradezu unvorstellbar erscheint heute, wie wenig noch in den frühen Siebzigern nach Straftaten die Leidtragenden zählten. Das ist heute anders, angefangen von der Polizeiausbildung bis hin zur Arbeit der Ermittler. Doch noch immer klaffen Lücken im Netz der Hilfe, etwa bei den Anwaltskosten. Diese Lücken muss der Staat schließen. Und zwar schnell. Dass es vom Spendenaufkommen für Vereine wie den Weißen Ring abhängt, ob Verbrechensopfer Hilfe finden, ist ein Skandal.

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