Der Saarbrücker Eklat mit dem Weltstar

Saarbrücken · Größer hätte der Kontrast kaum sein können. Hier eine am Boden liegende Gesellschaft in der Provinz, in Trümmern und Hunger lebend, gezeichnet von der Last der nationalsozialistischen Vergangenheit und existenziellen Sorgen. Da eine Sängerin, die mit 31 Jahren bereits ein schillerndes Leben hinter sich hatte, das im Rotlichtmilieu von Paris begonnen hatte, und die nun vor ihrem ganz großen Durchbruch stand. Eine eigenwillige und selbstbewusste Persönlichkeit, eine Frau, die mit ihren Männergeschichten ebenso für Aufmerksamkeit sorgte wie mit ihrem Lebensstil und ihrer mysteriösen Vergangenheit. Als Spatz von Paris hatte ihre Karriere begonnen. Binnen zehn Jahren war Edith Piaf mit ihrer einzigartigen Stimme, ihrer unvergleichlichen Bühnenpräsenz und einem hochdramatischen Vortragsstil zum Weltstar geworden. Viele Menschen lagen der Piaf auch in den Jahren von Krieg und Okkupation zu Füßen, zahllose Freunde und Liebhaber - unter ihnen Yves Montand , Charles Aznavour , Jean Cocteau -, ebenso wie unzählige Fans, die sie auf ihren Tourneen begeisterte. Dass sie mit ihrer Musik und ihrer betörenden Art selbst die verhassten deutschen Besatzer erobern konnte, zeigte sich mehr als einmal. Wenn sie etwa den Bühnenraum in die Farben der Tricolore tauchen ließ, wenn sie gegen alle Verbote die Lieder emigrierter jüdischer Freunde sang, wenn sie Texte vortrug, die den Diktator der Deutschen aufs Korn nahmen, dann riskierte sie zwar Zensur, kurzzeitige Auftrittsverbote und einmal sogar die Verhaftung durch die Gestapo - aber ihre Arbeit konnte sie immer wieder fortsetzen. Dass Kulturarbeit im Angesicht der nationalsozialistischen Diktatur alles andere als unproblematisch war, zeigte sich besonders aus Anlass von zwei Tourneen , die Edith Piaf 1943 und 1944 im Feindesland machte. Gemeinsam mit dem Orchester von Fred Adison besuchte sie die Lager von französischen Kriegsgefangenen in Deutschland, trat vor tausenden von inhaftierten Landsleuten auf. Die beiden Reisen hatte Edith eigentlich als Wohlfahrts-Maßnahmen für die geschundenen Landsleute angetreten. Doch sie erwiesen sich als äußerst prekär, nicht nur, weil sie von den Nazis zu Propagandazwecken umfunktioniert werden sollten, sondern auch, weil Frankreichs berühmteste Chansonnière nach der Befreiung im eigenen Land in die Kritik geriet, sich fast zwangsläufig mit dem Verdacht der Kollaboration konfrontiert sah. Vor dem französischen Säuberungsausschuss musste sie daher erscheinen, zuletzt am 30. November 1945. Es wurde zwar ein Freispruch erster Klasse, man beglückwünschte sie sogar für die Unterstützung, die sie vielen Gefangenen und Verfolgten hatte zukommen lassen. Dennoch hallte der Ruf der vermeintlichen Kollaborateurin in gewissen Kreisen nach, wohl auch in jenen, die mit ihrem Saarbrücker Konzert im April 1946 zu tun hatten. Am 10. April 1946 begann eine vom Theatre aux armés organisierte Tournee durch die französische Besatzungszone. Bis zum 18. April 1946 hatte die Piaf gemeinsam mit den Compagnons de la Chanson neun Konzerte an neun verschiedenen Orten zwischen Freiburg, Mainz und Saarbrücken zu absolvieren. Aber nicht allein wegen des ungewöhnlich strammen Zeitplans war dieses Festival de la chanson française im besiegten Feindesland kein Zuckerschlecken. Vor allem die äußeren Umstände in bis zu 80 Prozent zerstörten Städten dürften die Auftritte für die Chansoniers aus Paris zu "einmaligen" Erlebnissen gemacht haben. Der Militärbericht erzählt davon, wie sehr auch "verwöhnte" Stars ziemlich unmittelbar mit dem Hunger und der Wohnungsnot in einer zerstörten Welt konfrontiert wurden. Der Reisebus hatte Pannen, in Saarbrücken musste man eine fünfstündige, in Neustadt eine achtstündige Zwangspause einlegen, der Tourneeplan geriet durcheinander. Alles Begleiterscheinungen einer Reise im daniederliegenden Nachkriegsdeutschland . Weniger zu erwarten war hingegen das, was am Abend des 11. April im großen Saal des Saarbrücker Johannishofs passierte. Als die Piaf mit ihren Compagnons programmgemäß gegen 21 Uhr den Liederreigen eröffnen wollte, war der Saal proppenvoll, auch wenn die besten Plätze an diesem Abend etwas mehr kosteten als sonst. Nur der allerbeste Platz im Auditorium war zu diesem Zeitpunkt noch unbesetzt. Es war der Ehrenplatz, der für Oberst Gilbert Grandval, den Chef der französischen Militärregierung an der Saar reserviert war. Und ohne den Chef vom Ganzen, das gehörte zu den ungeschriebenen Gesetzen in der Besatzungszeit, durfte ein für die französische Kulturpolitik so prestigeträchtiger Auftritt wie der der Piaf auf keinen Fall beginnen. Edith Piaf war jedoch nur eine kurze Zeit lang bereit, dem im Saarland gültigen Hofzeremoniell zu folgen. Als der Gouverneur weiterhin auf sich warten ließ, begann das Konzert auch ohne ihn - der kleine große Star hatte ja schon ganz andere Männer klein gekriegt. Wie sehr ihn diese Ehrverletzung traf, das zeigte Grandval, als er gegen halb zehn dann doch endlich erschien. Es kam zur öffentlichen Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Star, in der "nicht sehr akademische Ausdrücke" fielen. Die Feststellung des Militärberichts, dass das saarländische Publikum die für die Außenwirkung der Besatzungsmacht unangenehmen Geschehnisse "ignoriert habe" entsprach wohl eher der Wunschvorstellung der französischen Besatzung. So knapp die Beschreibungen über das Saarbrücker Konzert auch sind, so viel sagen sie über die Grenzen und Möglichkeiten französischer Kulturpolitik im besetzten Saarland - und vermutlich auch über das Selbstverständnis des französischen Gouverneurs. Dass der Délégué, wie es nachher hieß, deshalb zu spät erschienen sei, weil er viel zu spät über diese Veranstaltung informiert wurde, offenbart eigentlich nur die ganze Peinlichkeit der Angelegenheit: Wenn jemand im Saarland frühzeitig informiert worden war, dann war es Grandval. Und kein anderer Termin konnte in jenen Tagen von so großer Bedeutung für den Chef der französischen Militärregierung im Saarland sein wie der mit Edith Piaf . Es gab einfach keinen anderen Grund, dessentwegen er den Beginn des Konzertes an diesem Abend plausibler Weise verpassen konnte. Es sei denn, Gilbert Grandval wollte gar nicht pünktlich zum Auftritt der Piaf erscheinen, suchte bewusst die Provokation, demonstrierte damit seinen Protest gegen die Kulturpolitik seiner Vorgesetzten. Damit würde auch das Schweigen der Quellen und der Medien vor und nach dem Piaf-Konzert verständlich. Dass die Saarbrücker Zeitung als damals einziges Massenmedium keine einzige Silbe zum Auftritt eines angehenden Weltstars brachte, war eigentlich nur möglich, wenn das unter französischer Leitung stehende Blatt entsprechende Anweisungen erhalten hatte. Was waren die Gründe für Grandvals Provokation? Ein anderes Kulturverständnis, eine Aversion gegen einen Lebensstil, wie ihn die Piaf mit ihrem Eros verkörperte? Vermutlich war es eher die angedeutete Geschichte der Kollaboration, die den Ausschlag gab. Für Grandval, einen Mann der Résistance , könnte schon der Verdacht wie ein rotes Tuch gewirkt haben. Tatsächlich waren im März 1946 bei der Militärverwaltung Bedenken laut geworden, ob die Piaf mit ihrer Vergangenheit, die Kultur der Grande Nation noch glaubwürdig im Ausland vertreten könnte. Der nachhallende Ruhm der größten französischen Chansonnière, die in diesen Tagen ihren 100. Geburtstag feiern würde, hat diese Frage längst erübrigt.

Größer hätte der Kontrast kaum sein können. Hier eine am Boden liegende Gesellschaft in der Provinz, in Trümmern und Hunger lebend, gezeichnet von der Last der nationalsozialistischen Vergangenheit und existenziellen Sorgen. Da eine Sängerin, die mit 31 Jahren bereits ein schillerndes Leben hinter sich hatte, das im Rotlichtmilieu von Paris begonnen hatte, und die nun vor ihrem ganz großen Durchbruch stand. Eine eigenwillige und selbstbewusste Persönlichkeit, eine Frau, die mit ihren Männergeschichten ebenso für Aufmerksamkeit sorgte wie mit ihrem Lebensstil und ihrer mysteriösen Vergangenheit. Als Spatz von Paris hatte ihre Karriere begonnen. Binnen zehn Jahren war Edith Piaf mit ihrer einzigartigen Stimme, ihrer unvergleichlichen Bühnenpräsenz und einem hochdramatischen Vortragsstil zum Weltstar geworden.

Viele Menschen lagen der Piaf auch in den Jahren von Krieg und Okkupation zu Füßen, zahllose Freunde und Liebhaber - unter ihnen Yves Montand , Charles Aznavour , Jean Cocteau -, ebenso wie unzählige Fans, die sie auf ihren Tourneen begeisterte. Dass sie mit ihrer Musik und ihrer betörenden Art selbst die verhassten deutschen Besatzer erobern konnte, zeigte sich mehr als einmal.

Wenn sie etwa den Bühnenraum in die Farben der Tricolore tauchen ließ, wenn sie gegen alle Verbote die Lieder emigrierter jüdischer Freunde sang, wenn sie Texte vortrug, die den Diktator der Deutschen aufs Korn nahmen, dann riskierte sie zwar Zensur, kurzzeitige Auftrittsverbote und einmal sogar die Verhaftung durch die Gestapo - aber ihre Arbeit konnte sie immer wieder fortsetzen.

Dass Kulturarbeit im Angesicht der nationalsozialistischen Diktatur alles andere als unproblematisch war, zeigte sich besonders aus Anlass von zwei Tourneen , die Edith Piaf 1943 und 1944 im Feindesland machte. Gemeinsam mit dem Orchester von Fred Adison besuchte sie die Lager von französischen Kriegsgefangenen in Deutschland, trat vor tausenden von inhaftierten Landsleuten auf.

Die beiden Reisen hatte Edith eigentlich als Wohlfahrts-Maßnahmen für die geschundenen Landsleute angetreten. Doch sie erwiesen sich als äußerst prekär, nicht nur, weil sie von den Nazis zu Propagandazwecken umfunktioniert werden sollten, sondern auch, weil Frankreichs berühmteste Chansonnière nach der Befreiung im eigenen Land in die Kritik geriet, sich fast zwangsläufig mit dem Verdacht der Kollaboration konfrontiert sah. Vor dem französischen Säuberungsausschuss musste sie daher erscheinen, zuletzt am 30. November 1945. Es wurde zwar ein Freispruch erster Klasse, man beglückwünschte sie sogar für die Unterstützung, die sie vielen Gefangenen und Verfolgten hatte zukommen lassen. Dennoch hallte der Ruf der vermeintlichen Kollaborateurin in gewissen Kreisen nach, wohl auch in jenen, die mit ihrem Saarbrücker Konzert im April 1946 zu tun hatten.

Am 10. April 1946 begann eine vom Theatre aux armés organisierte Tournee durch die französische Besatzungszone. Bis zum 18. April 1946 hatte die Piaf gemeinsam mit den Compagnons de la Chanson neun Konzerte an neun verschiedenen Orten zwischen Freiburg, Mainz und Saarbrücken zu absolvieren. Aber nicht allein wegen des ungewöhnlich strammen Zeitplans war dieses Festival de la chanson française im besiegten Feindesland kein Zuckerschlecken.

Vor allem die äußeren Umstände in bis zu 80 Prozent zerstörten Städten dürften die Auftritte für die Chansoniers aus Paris zu "einmaligen" Erlebnissen gemacht haben. Der Militärbericht erzählt davon, wie sehr auch "verwöhnte" Stars ziemlich unmittelbar mit dem Hunger und der Wohnungsnot in einer zerstörten Welt konfrontiert wurden. Der Reisebus hatte Pannen, in Saarbrücken musste man eine fünfstündige, in Neustadt eine achtstündige Zwangspause einlegen, der Tourneeplan geriet durcheinander. Alles Begleiterscheinungen einer Reise im daniederliegenden Nachkriegsdeutschland .

Weniger zu erwarten war hingegen das, was am Abend des 11. April im großen Saal des Saarbrücker Johannishofs passierte. Als die Piaf mit ihren Compagnons programmgemäß gegen 21 Uhr den Liederreigen eröffnen wollte, war der Saal proppenvoll, auch wenn die besten Plätze an diesem Abend etwas mehr kosteten als sonst.

Nur der allerbeste Platz im Auditorium war zu diesem Zeitpunkt noch unbesetzt. Es war der Ehrenplatz, der für Oberst Gilbert Grandval, den Chef der französischen Militärregierung an der Saar reserviert war. Und ohne den Chef vom Ganzen, das gehörte zu den ungeschriebenen Gesetzen in der Besatzungszeit, durfte ein für die französische Kulturpolitik so prestigeträchtiger Auftritt wie der der Piaf auf keinen Fall beginnen.

Edith Piaf war jedoch nur eine kurze Zeit lang bereit, dem im Saarland gültigen Hofzeremoniell zu folgen. Als der Gouverneur weiterhin auf sich warten ließ, begann das Konzert auch ohne ihn - der kleine große Star hatte ja schon ganz andere Männer klein gekriegt. Wie sehr ihn diese Ehrverletzung traf, das zeigte Grandval, als er gegen halb zehn dann doch endlich erschien. Es kam zur öffentlichen Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Star, in der "nicht sehr akademische Ausdrücke" fielen. Die Feststellung des Militärberichts, dass das saarländische Publikum die für die Außenwirkung der Besatzungsmacht unangenehmen Geschehnisse "ignoriert habe" entsprach wohl eher der Wunschvorstellung der französischen Besatzung.

So knapp die Beschreibungen über das Saarbrücker Konzert auch sind, so viel sagen sie über die Grenzen und Möglichkeiten französischer Kulturpolitik im besetzten Saarland - und vermutlich auch über das Selbstverständnis des französischen Gouverneurs. Dass der Délégué, wie es nachher hieß, deshalb zu spät erschienen sei, weil er viel zu spät über diese Veranstaltung informiert wurde, offenbart eigentlich nur die ganze Peinlichkeit der Angelegenheit: Wenn jemand im Saarland frühzeitig informiert worden war, dann war es Grandval.

Und kein anderer Termin konnte in jenen Tagen von so großer Bedeutung für den Chef der französischen Militärregierung im Saarland sein wie der mit Edith Piaf . Es gab einfach keinen anderen Grund, dessentwegen er den Beginn des Konzertes an diesem Abend plausibler Weise verpassen konnte. Es sei denn, Gilbert Grandval wollte gar nicht pünktlich zum Auftritt der Piaf erscheinen, suchte bewusst die Provokation, demonstrierte damit seinen Protest gegen die Kulturpolitik seiner Vorgesetzten.

Damit würde auch das Schweigen der Quellen und der Medien vor und nach dem Piaf-Konzert verständlich. Dass die Saarbrücker Zeitung als damals einziges Massenmedium keine einzige Silbe zum Auftritt eines angehenden Weltstars brachte, war eigentlich nur möglich, wenn das unter französischer Leitung stehende Blatt entsprechende Anweisungen erhalten hatte.

Was waren die Gründe für Grandvals Provokation? Ein anderes Kulturverständnis, eine Aversion gegen einen Lebensstil, wie ihn die Piaf mit ihrem Eros verkörperte? Vermutlich war es eher die angedeutete Geschichte der Kollaboration, die den Ausschlag gab.

Für Grandval, einen Mann der Résistance , könnte schon der Verdacht wie ein rotes Tuch gewirkt haben. Tatsächlich waren im März 1946 bei der Militärverwaltung Bedenken laut geworden, ob die Piaf mit ihrer Vergangenheit, die Kultur der Grande Nation noch glaubwürdig im Ausland vertreten könnte. Der nachhallende Ruhm der größten französischen Chansonnière, die in diesen Tagen ihren 100. Geburtstag feiern würde, hat diese Frage längst erübrigt.

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Zur PersonDer promovierte Historiker Paul Burgard ist im Landesarchiv des Saarlandes tätig. Für die Saar-Geschichten, Magazin für regionalen Kultur und Geschichte, hat er eine Abhandlung über Edith Piafs Konzert vom April 1946 verfasst. Der Text, den wir hier zu Piafs 100. Geburtstag ´veröffentlichen, ist ein gekürzte Fassung. red

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