Der Rüpel-Flüsterer

Saarbrücken · Wenn Kinderbuchautor Will Gmehling vorliest, werden heftige Jungs ganz weich und ruhig

 Will Gmehling las in der Grundschule Ostschule aus seinem Buch „Einen Luchs am Hals haben“. Foto: Iris Maurer

Will Gmehling las in der Grundschule Ostschule aus seinem Buch „Einen Luchs am Hals haben“. Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer

Ach Gott, ist das traurig: Herr Egon, ein rundlicher, unscheinbarer Mittfünfziger, leidet an der Tristesse seines zwischen Büro und Wohnblock eingependelten Alltags, seiner Einsamkeit und überhaupt. "Er hatte schon seit Ewigkeiten nichts und niemanden gestreichelt." So jemanden will man eigentlich gar nicht kennenlernen.

Wirklich eine Wahl hatten die Viertklässler der Ostschule am Mittwochmorgen allerdings nicht. Zum Glück. Handelt es sich doch bei Herrn Egon um die Hauptfigur eines 2008 erschienen Kinderbuchs von Will Gmehling, aus dem der Autor höchstselbst vorlas.

Und siehe da: Dieser Nobody erlebt plötzlich ein handfestes Abenteuer im Wald. Bei einer Rast an einem Felsbrocken hört der Wanderer ein "quietschendes Miauen" ... Herr Egon fasste sich ein Herz und beschloss, mutig zu sein." Woraufhin er erst seine Brote mit Hackepeter loswird - "Oder wie heißt das bei euch?" "Mett" , antwortet Lehrerin Nataly Weitz. Und dann ist Herr Egon plötzlich Ziehvater eines Luchsbabys, das ihm gleich mal den Rucksack vollkackt. Das reißt die Schüler kurzzeitig aus ihrer Zuhör-Starre. Es wird gekichert und gelacht.

Über die Disziplin kann Nataly Weitz nur staunen, sind doch "ein paar heftige Jungs dabei", die hier in der Schulbibliothek lammfromm lauschen. "Das ist immer so", grinst Gmehling, Vater zweier Kinder, "sogenannte Rüpel werden ganz weich und ruhig beim Zuhören." Dass die Schüler auf einen "unkultivierten Sack" wie Herrn Egon abfahren, mit dem sie "nichts in der Welt zu tun haben", wundert ihn dagegen "jedes Mal wieder". Bücher gelesen werden sonst natürlich auch im Unterricht, nur kommt das leider manchmal "ein bisschen zu kurz", bedauert Stefanie Meisinger, Lehrerin der 4.2. "Vorlesen mögen die Kinder total."

Bei der finalen Fragerunde will jemand wissen, wie lange Gmehling an diesem Buch und wie lange er überhaupt schon schreibt. Das Luchsbuch brauchte ein Jahr , "ich bin ganz schön langsam". Kinderbücher verfasst er seit Mitte 30. Ihn als Spätberufenen zu bezeichnen, wäre dennoch grundfalsch. "Schon in eurem Alter habe ich geschrieben", erklärt er Eric, Amina, Stanislav und den anderen. Später im Gespräch erzählt Gmehling: "Ich wusste mit 14, ich werde nie einen Chef haben. Das war eine Eingebung."

Also Freiberufler, mit allen Höhen und Tiefen. Lange malte er Bilder und schrieb Lyrik. Wobei der Spaßfaktor bei Lesungen für Jüngere deutlich höher ist: Während Erwachsene aus Höflichkeit klatschen, sind Kinder ehrlich. "Das ist alles ungefiltert. Phantastisch."

Vorlesen sei ja im Grunde "total retro. Aber es wird immer wichtiger in dieser Fake-News-Welt, dass Kinder Kontakt zu echten Texten zwischen zwei Buchdeckeln haben." Bei ihm zuhause in Bremen darbt die Leseförderung mangels Interesse der Politik.

Ganz anders hier im Saarland, das er sowieso "toll" findet: "Hier wird der Friedrich-Bödecker-Kreis stark bezuschusst", sagt Gmehling. Leben kann er nicht vom Schreiben. Für einen großen Konzern unterrichtet der Autor Erwachsene in Französisch.

Ob er mit denen in der Pause auch Klatsch-Liegestütze übt, wie hier mit den Kindern, blieb offen.

Zum Thema:

Der Friedrich-Bödecker-Kreis im Saarland organisiert Lesereisen für Kinder- und Jugendbuchautoren und vermittelt so Autorenbegegnungen an Schulen, Kindergärten, Bibliotheken und andere literatur-interessierte Institutionen. Er setzt sich seit über 25 Jahren gezielt für Leseförderung ein. Dazu gehören neben Lesungen, Workshops und Ausstellungen auch gezielte Projekte für frühkindliche Sprach- und Leseförderung wie neuerdings das Bilderbuchkino. Will Gmehling, 1957 in Bremen geboren, lebt in Bremen und Köln. Er hat lange Jahre als Maler für Erwachsene gearbeitet, bis er auf die gute Idee kam, Bücher für Kinder und Jugendliche zu schreiben.

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