„Der nukleare Bereich in Frankreich ist lupenrein“

Saarbrücken · Seit Juni ist Thierry Rosso der neue Chef in Cattenom. Was zurzeit bei der Generalüberholung genau passiert und warum er nicht versuchen wird, die Nachbarländer von der Existenzberechtigung seines Standortes zu überzeugen, erklärt er im Interview mit SZ-Redakteurin Hélène Maillasson.

 Das Atomkraftwerk im französischen Cattenom durchläuft derzeit eine Generalüberholung, die alle zehn Jahre stattfindet. Foto: dpa/Bouvy

Das Atomkraftwerk im französischen Cattenom durchläuft derzeit eine Generalüberholung, die alle zehn Jahre stattfindet. Foto: dpa/Bouvy

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Herr Rosso, Ihre Zeit in Cattenom beginnt mit der Generalüberholung, die alle zehn Jahren stattfindet. Was wird da genau gemacht?

Rosso: Da passiert ziemlich viel. Zum einen muss die Anlage an die zurzeit höchsten existierenden Sicherheitsstandards angepasst werden, um die Betriebserlaubnis für weitere zehn Jahre zu bekommen. Das ist das primäre Ziel dieser Generalüberholung, aber längst nicht das einzige. Alle Teile werden einer strengen Prüfung unterzogen. Der Reaktordruckbehälter wird zum Beispiel durch einen Roboter inspiziert, der radiografische Kontrollen macht, um zu sehen, wie sich die Baustoffe verhalten. Dazu werden auch größere Teile ausgetauscht wie zum Beispiel beim Kondensator (Anm. d. Red.: Der Kondensator befindet sich im sekundären, nicht-nuklearen Kreislauf und verflüssigt den Dampf nach dem Turbinieren). Dieser wird nur ein einziges Mal im Leben eines Reaktors ausgetauscht.

Obwohl manche Teile wie dieser Kondensator ersetzt werden können, ist dies bei dem Reaktordruckbehälter und beim Reaktorgebäude aus Beton nicht möglich . . .

Rosso: Beim heutigen Stand der Technik sind wir tatsächlich nicht in der Lage, die zwei Elemente auszutauschen. Deshalb werden diese ganz besonders kontrolliert. Bei der Generalüberholung gibt es unter anderem eine hydraulische Prüfung im Reaktordruckbehälter . Der übliche Druck im Reaktor läuft bei 155 Bar, bei der Prüfung erhöhen wir auf 207 Bar im gesamten primären Kreislauf. Ähnliche Prüfungen gibt es auch für das Reaktorgebäude.

Wenn die Kernkraftwerke ursprünglich für eine Laufzeit von 40 Jahren geplant wurden, kann man es verantworten, die unersetzbaren Teile länger in Betrieb zu lassen?

Rosso: Ja, die Laufzeit eines Reaktors ist durch den Zustand dieser beiden Elemente bedingt. Aber bei der Gründung gab es enorme Spielräume, was die Lebensdauer der verschiedenen Komponenten angeht. Der Zustand unserer Druckbehälter erlaubt die Vorstellung einer Laufzeit über 60 Jahre hinaus. Aber eine Laufzeit über 60 Jahre hinaus entspricht heute nicht dem Projekt von EdF. In jedem Druckbehälter gibt es auch Probekörper, die von dem gleichen Guss stammen wie der Druckbehälter selbst. Die werden also den gleichen Strahlungen ausgesetzt. In regelmäßigen Abständen wird einer davon herausgeholt, um den Zustand zu prüfen. Beim Reaktorgebäude aus Beton kann man zum Beispiel weitere Beschichtungen hinzufügen. Man weiß, wie man ihn verbessert - noch nicht, wie man ihn austauschen könnte.

Vor einigen Jahren haben Sie das Kernkraftwerk in Fessenheim geleitet. Im Wahlkampf 2012 hatte Präsident Hollande die Schließung dieses ältesten Atomkraftwerks Frankreichs versprochen. Laut dem Energiegesetz soll der Anteil an Atomenergie im Mix sinken. Wird das AKW der neuesten Generation in Flamanville fertig, müssen woanders Reaktoren abgeschaltet werden. Denken Sie, Fessenheim sollte als erstes geschlossen werden?

Rosso: Ich werde hier nicht die Entscheidungen, die vom französischen Staat im Energiebereich getroffen werden, kommentieren. Ich kann nur eins sagen: Das Alter ist kein Kriterium. Die französische Atomaufsichtsbehörde ASN spricht übrigens nicht vom Alter, sondern von Sicherheitsstandards für den Betrieb. Ich habe selbst das Kraftwerk in Fessenheim geleitet und ich kann Ihnen sagen, das Sicherheitsniveau dort ist sehr gut. Das AKW, das heute in Fessenheim in Betrieb ist, ist nicht genau das gleiche wie 1977 beim Betriebsstart. Vieles wurde seitdem modernisiert.

In der Großregion wächst der Widerstand gegen Cattenom. Rheinland-Pfalz und manche Kommunen im Saarland erwägen eine Klage, Luxemburg wollte Frankreich das AKW abkaufen. Wie gehen Sie damit um?

Rosso: Der nukleare Bereich in Frankreich ist lupenrein. Wir werden durch eine unabhängige Einrichtung, die ASN, kontrolliert. Auf der Internetseite der ASN befinden sich alle Dokumente zu den Inspektionen. Gibt es in Deutschland etwas Vergleichbares? Dort werden die Dokumente zu den Inspektionen nicht unbedingt gleich online gestellt. Es ist auch nicht meine Rolle, unsere Nachbarn zu überzeugen. Sie wollen auch nicht überzeugt werden, sondern wollen, dass das AKW geschlossen wird. Ich bin zu zwei Dingen verpflichtet: dafür zu sorgen, dass mein Standort sicher ist, und weiterhin so umfangreich zu informieren.

In Frankreich herrscht zurzeit der Notstand. Man befürchtet, dass Terroristen, sogenannte "einsame Wölfe", Angriffe verüben könnten. In Cattenom sind zurzeit hunderte Mitarbeiter von Drittfirmen an der Generalüberholung beteiligt. Wurde das Sicherheitskonzept der Bedrohung angepasst?

Rosso: In Frankreich gab es bereits nach dem 11. September 2001 große Veränderungen in diesem Bereich. Rund um die Uhr verfügen wir hier über eine Gendarmen-Einheit. Ich sage mal ganz ehrlich, sie sind nicht hier, um Demonstranten zu verscheuchen oder den Verkehr am Standort zu regeln. Sie sind hier, um die nuklearen Einrichtungen zu schützen und - wenn notwendig - potenzielle Gefährder auszuschalten. Jeder, der hier arbeitet - egal ob von EdF oder von Dienstleistern - wird durch die Präfektur durchleuchtet. Wir als Betreiber haben keinen Zugang zu den nachrichtlich-dienstlichen Datenbanken, die Präfektur aber schon. Wir verfügen auch über Scan-Systeme wie an den Flughäfen und das schon seit ein paar Jahren, nicht erst seit der neuen Anschlagswelle.

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