Der Mann fürs täuschend Echte

Saarbrücken · Modellieren und Tüfteln – das ist die Arbeit eines Theaterplastikers. Ob Monsterkrallen oder Hörner, wellige Waldböden oder verkohlte Baumstümpfe – all das imitiert Holger Sand gekonnt.

"Das ist Styrodur, ganz gewöhnlicher Dämmstoff", erklärt Holger Sand und greift sich eine der Platten, die stapelweise an der Hallenwand lagern. Während Häuslebauer diesen etwas festeren Verwandten des Styropors bloß zum Isolieren von Mauern benutzen, macht Sand daraus die tollsten Sachen.

Gerade hat er 28 Hörner-Paare aus Styrodur geschnitzt. Die werden sich die Schauspieler im neuen Musical Black Rider auf die Perücken setzen, um teuflisch zu wirken. Hörner anzufertigen, das ist für Sand eine Kleinigkeit. Nur fünf Minuten braucht er, um so ein Horn mit Messer und Sandpapier in die endgültige Form zu bringen. Anschließend wird es mit grüner und schwarzer Farbe lackiert, um wie echtes Tierhorn auszusehen. Als Vorlage dient Sand lediglich ein Handyfoto.

Der 53-Jährige arbeitet seit rund 25 Jahren als Theaterplastiker am Staatstheater. Ein Beruf mit der Lizenz zur Imitation: Immer wenn wir Zuschauer glauben, auf der Bühne dicke Mauern oder welligen Waldboden zu sehen, Sänger in Monsterkrallen verschwinden, Tänzer auf vermeintlich verkohlten Baumstümpfen tanzen, dann waren Sand und seine Kollegin Gundula Weber am Werk. Mauern aus Stein etwa wären auf einer Bühne gar nicht handhabbar. Für Mauerwerk, erklärt Sand, habe man eine Schablone. Die legt Sand auf den Boden, auf eine Wand aus Holz, und trägt dann mit einer Riesenkelle flüssigen Kunststoff darauf auf. Dadurch entsteht die plastische Wirkung. Für den Waldboden im Parzival wiederum galt es, Zwei-Komponenten-Kunststoff, der aufschäumte, aus 10-Liter-Eimern auf dem Boden zu verteilen. Objekte wie der Baumstumpf für das Ballett "Peer Gynt" oder die Riesenkralle für das Musical "Snowhite" erfordern zunächst ein stabiles Grundgestell aus Holz und/oder Metall, das die Plastiker anschließend mit Styrodur und anderen Kunststoffen und Farben modellieren und kaschieren. Das Grundgestell bauen zwar die Schreinerei und Schlosserei, doch die Theaterplastiker sind immer dabei. Die Kralle war groß wie ein Doppelbett, die Finger, 4,50 Meter lang, mussten in allen Gliedern beweglich sein. "Das war eine ganz schöne Tüftelei", erinnert sich Sand schmunzelnd.

Theaterplastiker arbeiten stets nach Vorgaben des Bühnen- oder auch Kostümbildners. Auch Masken fertigen sie an. Am meisten kämen sie heutzutage für Bodenbeläge und Wände zum Einsatz, sagt Sand. Er liebt seinen Beruf, den er einst am Saarländischen Staatstheater (SST) erlernt hat. Viele Effekte auf der Bühne würden aber inzwischen durch Lichtprojektionen erzeugt. "Das machen dann die Veranstaltungstechniker, die wir dazubekommen haben".

Das Paradoxe: Obwohl der Bühnenplastiker erst seit 2002 ein anerkannter Ausbildungsberuf ist, wird er immer weniger gebraucht. Das SST bekomme pro Spielzeit drei bis vier Anfragen von ausbildungswilligen jungen Leuten, weiß Sand. Die müsse es leider stets negativ bescheiden.

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