Dem "Unsichtbaren Mahnmal" auf der Spur

Saarbrücken. Mit so großem Andrang hatte sie nicht gerechnet

Saarbrücken. Mit so großem Andrang hatte sie nicht gerechnet. Dass am Mittwochabend trotz des unberechenbaren Wetters rund 20 Wissbegierige vor der Alten Sammlung eintrudelten, versetzte Friederike Koch in Überraschung - und Freude: War die Moderation des "Club Bismarck 11" doch ihre letzte Amtshandlung als Mitarbeiterin der Kunstvermittlung des Saarlandmuseums, bevor sie nach Stuttgart wechselt.Der "Club Bismarck 11" wurde 2007 als Vermittlungsangebot insbesondere für jüngeres Publikum initiiert. Jeweils am ersten Mittwoch des Monats gibt's Vorträge, Führungen oder Filmvorführungen. Vorgestern stand nun eine Begehung des Schlossplatzes auf dem Programm; Thema war das "Unsichtbare Mahnmal" des Konzeptkünstlers Jochen Gerz.

Wozu ein Denkmal, von dessen Existenz man ohne Hinweisschilder nichts wüsste? Neben Leben, Werk und Motivation des 1940 geborenen Gerz, der sich insbesondere mit der Wirkung von Sprache und Schrift beschäftigt und Bürger gern zu Mitverantwortlichen seiner "Environments" (der Begriff steht für umgebungs-gebundene Kunstwerke) macht, rollte Koch zur Einführung die Geschichte des Saarbrücker Schlosses auf - ein Spiegel der Beziehung zwischen Obrigkeit und Bürgern. Vom ehemaligen Renaissanceanwesen, das in Feudalzeiten von Friedrich Joachim Stengel zur Barockanlage umgebaut wurde und in den Wirren der Französischen Revolution niederbrannte, über die Versteigerung einzelner Wohnsegmente an wohlhabende Bürger durch Napoleon und den Rückkauf durch den Stadtverband Saarbrücken bis zur Vereinnahmung durch die Gestapo, die im Keller fünf Verhörzellen errichtete. Eine dieser Zellen ist als Nachbau im Historischen Museum zu sehen, und sie war es, die Gerz, damals Gastprofessor an der noch jungen Hochschule für Bildende Künste (HBK) Saar, 1990 inspirierte zu seinem Stadtraumprojekt zum Gedenken für die Opfer des Faschismus. Zusammen mit acht Studenten machte er sich in illegalen Nacht- und Nebelaktionen ans Werk und grub Pflastersteine aus, um auf ihrer Rückseite die Namen bis 1933 existierender deutscher jüdischer Friedhöfe einzugravieren und sie wieder einzusetzen. Bis besorgte Bürger wegen loser Stolpersteine Alarm schlugen und das Ganze aufflog.

Zu dem Zeitpunkt freilich, so Koch, war Gerz das Projekt bereits über den Kopf gewachsen: Die angeschriebenen jüdischen Gemeinden hatten weitaus mehr Friedhöfe gemeldet als erwartet. Das Projekt wurde nun öffentlich kontrovers diskutiert. Sinnlos und absurd erschien es den Gegnern, während die Befürworter mit der Nachhaltigkeit des Unsichtbaren als Zeichen der Verdrängung argumentierten. Als das Mahnmal 1993 mit offiziellem Segen vollendet wurde, waren 2146 beschriftete Pflastersteine in den Schlossplatz eingelassen - die bis dato umfangreichste Liste jüdischer Friedhöfe.

Koch weckte bei ihren Zuhörern so viel Neugier, dass es sich vielleicht gelohnt hätte, sich nachts auf die Lauer zu legen: Ob wohl der eine oder die andere, mit Spitzhacke bewaffnet, heimlich Steine ausgrub, um das Unsichtbare sichtbar zu machen?

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