"Dass das so persönlich wird . . ."

Saarbrücken. So voller Menschen ist der Ballettsaal im Saarländischen Staatstheater (SST) selten. Rund 40 Jugendliche und Senioren rennen wild und ausgelassen durcheinander, halten wie auf ein geheimes Kommando inne und fallen dem jeweils Nächststehenden um den Hals. "Und weiterlaufen!", treibt Jörg Wesemüller die Gruppe an. "Jetzt begrüßt Euch mal wie Außerirdische

Saarbrücken. So voller Menschen ist der Ballettsaal im Saarländischen Staatstheater (SST) selten. Rund 40 Jugendliche und Senioren rennen wild und ausgelassen durcheinander, halten wie auf ein geheimes Kommando inne und fallen dem jeweils Nächststehenden um den Hals. "Und weiterlaufen!", treibt Jörg Wesemüller die Gruppe an. "Jetzt begrüßt Euch mal wie Außerirdische. Wach sein! Schnell sein! Und jetzt stellt Euch vor, Ihr seid schüchtern und sollt Euch trotzdem begrüßen". Schon fast eine halbe Stunde geht das so, stellt Regisseur Wesemüller seinen Workshop-Teilnehmern immer neue Bewegungsaufgaben, um mit ihnen zu üben, spontan aufeinander zu reagieren. Die meisten kennen sich erst seit dem Vortag. Es sind Mitglieder der Jugendtheatergruppe U 21 und der neuen Seniorentruppe des SST, die an diesem Wochenende erstmals miteinander proben. Im Mai werden sie gemeinsam in der Alten Feuerwache ihr Bühnendebüt als Mehrgenerationentheater geben, mit "Frühlings Erwachen", frei nach Frank Wedekinds Drama über das Leiden Heranwachsender unter der repressiven Erziehung und Sexualmoral im Kaiserreich. Im November hatte das SST interessierte Laien ab 65 zur Gründung einer Theatergruppe mit Jung und Alt aufgerufen. "Als ich die Ankündigung im Radio hörte, war ich so begeistert, dass ich sogar die Autobahnausfahrt verpasst habe", erinnert sich Christa Macher-Ringshandel aus Schaffhausen. Insgesamt 16 Herren und Damen, einige schon jenseits der 70, meldeten sich bei Wesemüller an. Für einige ist es der erste Kontakt mit der Bühne, andere haben früher als Lehrerin Schülertheater geleitet, waren beim Homburger Frauenkabarett oder der Seniorentheatergruppe "Die Herbst-Zeitlosen" aktiv. "Ich wollte mal eine Produktion von Anfang an mitbekommen, weil ich großen Respekt vor der Arbeit von Regisseuren und Schauspielern habe", erklärt der Saarbrücker Horst Deutsch, der bereits vor 50 Jahren als Statist am SST mitwirkte. Für "Die Raureifen", wie sich die Alten jetzt nennen, war die Aussicht auf die Zusammenarbeit mit dem Jugendclub ein zusätzlicher Reiz. Und umgekehrt? "Erst dachte ich, o je!", gesteht Jan Meyer aus Düppenweiler, "aber jetzt finde ich's interessant." Alle nicken. Am Vortag haben die Jungen und die Alten gemeinsame erste Szenen aus dem Wedekind-Drama gelesen und über ihre eigenen Erfahrungen mit erwachender Sexualität und Aufklärung gesprochen. "Dass es so persönlich werden würde, hätte ich nicht gedacht", zeigt sich eine Seniorin berührt. Genau darum aber geht es Regisseur Wesemüller in seinem Projekt: "dass es an persönliche Geschichten angebunden ist. Es soll eine Mischung werden aus Originaltext und persönlichen Erfahrungen" erklärt er. Eine Reihe von intensiven Probenwochenenden hat die Gruppe noch vor sich, bevor sie im Mai zur Premiere schreitet.

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