„Das Luther-Jahr wird kein Firmenjubiläum“

Saarbrücken · Eigentlich müsste die Evangelische Kirche schon in Festlaune sein; 2017 wird nämlich 500 Jahre Reformation gefeiert. Doch die Flüchtlingskrise und die nach wie vor hohe Zahl von Kirchenaustritten sind für Manfred Rekowski, den Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, drängende Themen, die sich vor das Jubeljahr schieben.

 Die Kirche müsse sich an die schrumpfende Zahl ihrer Mitglieder anpassen, sagt Präses Manfred Rekowski. Konkret heißt das: Nicht mehr jede evangelische Kirche werde benötigt. Foto: Robby Lorenz

Die Kirche müsse sich an die schrumpfende Zahl ihrer Mitglieder anpassen, sagt Präses Manfred Rekowski. Konkret heißt das: Nicht mehr jede evangelische Kirche werde benötigt. Foto: Robby Lorenz

Foto: Robby Lorenz

Ernüchtert sei er, ja, mitunter auch frustriert. Doch resignieren will er nicht, auch wenn die Zerrissenheit der Europäischen Union in der Flüchtlingsfrage den Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, am "großen Friedensprojekt Europa" zweifeln lässt. "Gibt es die europäische Wertegemeinschaft tatsächlich oder nur virtuell?", fragt er jetzt im SZ-Redaktionsgespräch, "es ist nicht ansatzweise eine europäische Lösung in der Flüchtlingsfrage in Sicht!" Bereits im Januar hatte er in seiner als "Wutrede" bekannt gewordenen Ansprache auf der Synode der rheinischen Kirche die Flüchtlingspolitik Europas und Deutschlands verurteilt: Die seit Jahren bestehenden "unmenschlichen Zustände" an den EU-Außengrenzen und im Mittelmeer seien von Politik und Gesellschaft "mit einer fast entspannten Gelassenheit" hingenommen worden, solange die Menge der Flüchtlinge in Italien und Griechenland geblieben sei.

Auch protestantischen Kirchen in Europa stellt der 58-Jährige in der Flüchtlingsfrage kein gutes Zeugnis aus: "Es gibt natürlich überall Menschen, die in der Flüchtlingshilfe aktiv sind. Aber bei Besuchen etwa in Ungarn war es zum Teil schon sehr ernüchternd zu sehen, wie das Klima dort ist: Die Loyalität von großen Teilen der protestantischen Kirche in Ungarn mit der eigenen Regierung scheint größer zu sein als mit dem Evangelium." Hoffnung gäben ihm da seine Erlebnisse im griechischen Grenzort Idomeni, wo er sich im April das inzwischen geräumte Flüchtlingslager angeschaut hat. "Die protestantische Kirche in Griechenland, einem Land mit erheblichen wirtschaftlichen Problemen, geht mit gutem Beispiel voran. Auch dort kennt man nicht die große Lösung, aber kümmert sich um die Menschen, die einem direkt vor den Füßen liegen."

Einen Königsweg, das Massensterben im Mittelmeer zu beenden, weiß auch der Präses nicht. Gemeinsam mit der Partnerkirche der Waldenser in Italien haben deutsche Kirchen das Modellprojekt "Safe Passages" entwickelt. Hier sollen nach einer Vereinbarung mit dem italienischen Staat besonders gefährdete Menschen etwa aus Libyen auf sicherem Weg nach Italien gebracht werden, wo sie ihr Asylverfahren durchlaufen. "Die Hände in Unschuld waschen, kann man nicht. Man wird schuldig, wenn wir die Zustände so lassen, wie sie sind", sagt Rekowski.

Dass die große Zahl der Flüchtlinge auch bei vielen Menschen in Deutschland Ängste auslöst, hält er für legitim: "Diese Fragen darf man nicht tabuisieren." Wenn sich das Lebensumfeld von Menschen durch die Zuwanderung so stark verändere, dass sie sich fremd fühlten, seien derartige Gefühle verständlich. Es brauche eben Zeit, bis Menschen zueinander fänden. An Begegnungen führe kein Weg vorbei: "Die Globalisierung begann mit Waren aus dem Ausland, jetzt kommen die Menschen. Wer A will, muss auch B akzeptieren."

Steigenden Aufgaben durch die Flüchtlingsarbeit stehen sinkende Mitgliederzahlen gegenüber. Zählten zur evangelischen Kirche deutschlandweit im Jahr 2000 noch 26,6 Millionen Mitglieder, waren es 2015 mit 22,3 Millionen rund 15 Prozent weniger. "Wir als Kirche müssen Diaspora-fähig werden, unsere Strukturen an die kleiner werdenden Zahlen anpassen", sagt Rekowski. Immer mehr Menschen glaubten, ohne Institutionen und Großorganisationen wie Kirchen oder Parteien auszukommen. "Hätten politische Parteien unsere Austrittszahlen, würden sie jeden Tag Freudenfeste feiern", so Rekowski augenzwinkernd. Die SPD beispielsweise hat im selben Zeitraum 37,3 Prozent ihrer Mitglieder verloren. Der Präses gibt sich da keinen Illusionen hin: Die Menge des kirchlichen Personals wird schrumpfen, nicht mehr jede Kirche benötigt werden. Doch soll so lange wie möglich an den Kirchen im ländlichen Gebiet festgehalten werden. "Auf dem Land ist Kirche sehr viel mehr identitätsstiftend als in der Stadt. Wenn da das Licht ausginge, wäre das ein fatales Signal", betont er.

Einen "positiven Drive" in der Kirche erlebe er mit Blick auf das bevorstehende Lutherjahr 2017: "Es ist ein Anlass, auf unsere Initialzündung zu schauen. Was ist damals entdeckt worden und was bedeutet es für uns heute?" Bereits 2008 hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) die "Luther-Dekade" eingeläutet, die 2017 ihren Höhepunkt finden soll. "Der mehrjährige Anlauf ist ein bisschen ambitioniert und hat mich nicht durchgängig überzeugt", räumte Rekowski ein. "Mehr Konzentration wäre besser gewesen." Die evangelischen Christen im Rheinland begehen das Jubiläum unter dem Motto "Ich bin vergnügt, erlöst, befreit." Nach einem Psalmgedicht des Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch. Man wolle die reformatorischen Wurzeln in Erinnerung rufen, aber auch die Herausforderungen, vor die die Kirche heute gestellt sei, in den Blick nehmen, sagt Rekowski und verspricht: "Es wird jedenfalls kein 500-jähriges Firmenjubiläum".

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 Wenn der Herr die Sonne scheinen lässt, ist Rekowski mit seinem Solar-Dienstwagen flott unterwegs. Für längere Strecken steht aber noch ein BMW bereit. Foto: ekir.de/Jan Lukas Kleinschmidt

Wenn der Herr die Sonne scheinen lässt, ist Rekowski mit seinem Solar-Dienstwagen flott unterwegs. Für längere Strecken steht aber noch ein BMW bereit. Foto: ekir.de/Jan Lukas Kleinschmidt

Foto: ekir.de/Jan Lukas Kleinschmidt

Hintergrund Als Präses der Rheinischen Landeskirche ist Manfred Rekowski auch für die beiden evangelischen Kirchenkreise Saar-West und Saar Ost (rund 135 000 Mitglieder) verantwortlich; der östliche Teil des Saarlandes zählt zur pfälzischen Landeskirche. Rekowski, 1958 in Polen geboren, kam als Fünfjähriger mit seinen Eltern nach Deutschland. 1986 trat er seine erste Pfarrstelle an, seit März 2013 ist er Präses mit Amtssitz in Düsseldorf. Manfred Rekowski lebt in Wuppertal, ist verheiratet und hat zwei Kinder. red

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