Christen außerhalb der Christenheit

Saarbrücken · Rund 2000 Zeugen Jehovas leben im Saarland. Der Gemeinde eilt der Ruf voraus, aufdringlich, rückständig und streng gläubig zu sein. Wir haben eine Versammlung aufgesucht und versucht, uns ein Bild zu machen.

 Eine Anhängerin der Glaubensgemeinschaft Zeugen Jehovas mit der Zeitschrift „Wachtturm“. Foto: Becker&Bredel

Eine Anhängerin der Glaubensgemeinschaft Zeugen Jehovas mit der Zeitschrift „Wachtturm“. Foto: Becker&Bredel

Foto: Becker&Bredel

Das Paradies stellt man sich anders vor: brauner Teppichboden, darauf ein gutes Dutzend Stuhlreihen, schlicht und grau gepolstert. Weiße Vorhänge verdecken die Fenster an den einfarbig beigen Wänden, an der Stirnseite stehen ein kleines Klavier und ein Pult. Wenn Karl-Friedrich Neber hier redet, hängt hinter ihm der Schriftzug "Dankt Jehova, denn er ist groß." Neber steht dann im Königreichssaal in Merzig und verkündet Lehre und Inhalt der Bibel nach Sicht der Zeugen Jehovas .

Nicht nur auf einen Versammlungsraum voller Symbole verzichten sie, auch Feste wie Ostern und Weihnachten feiern Neber und seine Glaubensbrüder nicht, denn es seien heidnische Bräuche - und somit kein Teil des religiösen Lebens der Zeugen Jehovas . "Wenn ich über etwas nachdenke oder etwas tue, versuche ich zu ergründen, wie Gott grundsätzlich darüber denkt", sagt Hans-Dieter Leinenbach. "Die Antworten darauf finde ich immer in der Bibel." Heidnische Feste und Schmuck gehörten nicht dazu, eine Gedenkfeier an Karfreitag aber schon. "Die Liebe zur Familie und zu unseren Kindern können wir auch anders zeigen", ergänzt Neber. Er und Leinenbach gehören zu den Seelsorgern ihrer Versammlungen in Merzig und Nunkirchen, die sogenannten Ältesten.

Knapp 2000 Zeugen Jehovas leben laut eigenen Angaben im Saarland, verteilt auf 27 Versammlungen. "Andere Glaubensrichtungen lehnen sie radikal ab und suchen auch keinen Kontakt zu ihnen", sagt Matthias Neff, Sektenbeauftragter des Bistums Trier. "Es sind sozusagen Christen außerhalb der Christenheit." Das sehen die Zeugen Jehovas nicht unbedingt anders. "In der Bibel forderte Gott sein Volk auch auf, sich nicht mit anderen Völkern zu vermischen", argumentiert Leinenbach. Den Kontakt zu einzelnen Personen außerhalb ihrer Gemeinschaft wollen die Zeugen Jehovas aber schon, vielen sind sie denn auch vom jährlichen Besuch an der Haustür bekannt. Für sie ist das eine christliche Pflicht, an der sich grundsätzlich jeder aus der Gemeinde beteiligt - denn laut Bibel wird das Ende der Welt nur überleben, wer "den Namen Jehovas anruft".

"Ich predige aus Liebe zu Gott und meinen Mitmenschen", sagt Leinenbach. Es gehe nicht nur darum, Menschen zu bekehren. Vertraglich verpflichtet oder finanziell entlohnt werden die Prediger nicht. "Wenn ich mit einem Nicht-Religiösen über eine Bibelstelle sprechen kann, ist das ein schöner Erfolg", so Neber. Es müsse aber auch jeder die Freiheit haben, nicht mit den Zeugen Jehovas reden zu wollen. Das respektiere man. Der Bistums-Sektenbeauftragte Neff sagt dazu: "Wer höflich und eindrücklich ablehnt, wird meiner Erfahrung nach auch in Ruhe gelassen." Habe man sich aber auf ein Gespräch eingelassen und erwarte eine inhaltliche Auseinandersetzung, werde man oft enttäuscht, so Neff.

Während Leinenbach als Sohn einer Familie von Zeugen Jehovas aufwuchs, kam Neber durch einen der Hausbesuche hinzu. Anfang der 70er Jahre stellte die Frage nach dem Sinn des Lebens und war daraufhin von anderen Glaubensrichtungen enttäuscht. Viele kommen auf diese Weise dazu: Die Zahl der Zeugen Jehovas steigt seit Jahrzehnten stetig an.

Einer, der hingegen "Goodbye, Jehova" sagte, war Misha Anouk. So heißt das Buch des britisch-deutschen Schriftstellers, in dem er von einem hohen moralischen Druck und dem Verbreiten von Angst innerhalb der Gemeinschaft schreibt. Der Anspruch an die Mitglieder sei eine totale Identifikation mit dem Glauben, Aussteiger wie ihn bezeichneten die Zeugen Jehovas als "geistig krank". "Diesen Druck verspürt man vielleicht, wenn man beginnt, an seinem Glauben zu zweifeln", sagt Leinenbach. Und: "Wir besuchen und bemühen uns auch um Ehemalige."

Soziales Engagement in der Gesellschaft spiele für die Zeugen Jehovas keine nennenswerte Rolle, sagt der Sektenbeauftragte Neff. Weltliche Institutionen unterstützten sie nicht. Die staatlichen Gesetze und deren Einhaltung achteten sie aber, wie das Saar-Kultusministerium bestätigt, das für religiöse und konfessionelle Fragen im Saarland zuständig ist. Soziales Engagement gebe es schon, erklärt Leinenbach, es sei Teil der Missionierungsarbeit. Seit 2009 sind sie als Körperschaft öffentlichen Rechts im Saarland anerkannt. Eine Sekte sind sie offiziell nicht.

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