Belgier feiern Puppenspiel als Meisterwerk

Saarbrücken · Julie Tenret und Isabelle Darras bringen die Liebe zweier Senioren mit lebensechten Figuren auf die Bühne. Die Karten für das hoch gelobte Stück gingen rasch weg - das Festival bietet jetzt eine Zusatzvorstellung an.

 Lebensecht: Puppe Jean liest im Bademantel die Zeitung zum Frühstück. Foto: Yves Kerstius

Lebensecht: Puppe Jean liest im Bademantel die Zeitung zum Frühstück. Foto: Yves Kerstius

Foto: Yves Kerstius

Das sollen keine echten Menschen sein? Man kann es gar nicht glauben, wenn man Jean und Elise erblickt. So hyperrealistisch wirken die beiden Senioren, deren lebenslange große Liebe die beiden belgischen Figurentheater-Spielerinnen Julie Tenret und Isabelle Darras auf die Bühne bringen. "Silence", bei den Perspectives als Deutschlandpremiere zu sehen, ist das erste Gemeinschaftswerk der beiden Frauen als Night Shop Théâtre. Wie so ein Figurentheaterstück entsteht? Zwei Dinge standen fest und fügten sich zusammen, als sie anfingen, erzählt Isabelle Darras: "Julie wollte unbedingt mit lebensgroßen Figuren arbeiten und ich ein Stück als Hommage an meine Großmutter machen". Beide Frauen hatten ein enges, gutes Verhältnis zu ihren Großeltern, von denen nur noch Julies Oma lebt. Ziemlich schnell kamen sie überein, dass es um eine Liebesgeschichte gehen soll.

Dann suchten sie sich die passenden Mitstreiter zusammen: über ein Dutzend Fachleute der verschiedensten Metiers. Nachdem Julie Tenret ein erstes Szenario geschrieben hatte, zog sie etwa einen Regisseur hinzu. "Wer mit einer Figur auf der Bühne agiert, kann oft nicht sehen, was der andere gerade macht, deshalb braucht man jemanden, der den Überblick hat", erklärt Isabelle Darras. Von einem Figurenbauer ließen sich die zwei dann Prototypen verschiedenster Art konstruieren. Erst bei den Proben finde man heraus, wie die Figuren am besten beschaffen sein müssen, erläutert Darras. "Die ersten hatten Beine, die haben wir dann weggelassen und unsere eigenen eingesetzt".

Für die Herstellung der Köpfe der Figuren waren mehrere Spezialisten nötig. Zuerst der Bildhauer Joachim Jannin, der sie modellierte, dann Pascal Berger, der sie in Silikon abformte. Elise und Jean, benannt nach Darras Großmutter und Tenrets Großvater, seien keinem konkreten Gesicht nachgebildet, betont Darras. Aber die hyperrealistischen Skulpturen des Bildhauers Ron Mueck hätten sie sehr inspiriert.

Auch beim Bühnenbild - Elises und Jeans Zimmer im Altersheim - hätten sie zunächst mit Modellen gearbeitet - mit Möbeln aus Karton und Gegenständen, von denen man etliche wieder austauschte, so Darras. Aus besonderem Grund: Wenn Elise in alten Fotoalben blättert, lässt das Stück ihre Erinnerungen in Video, die mit Schauspielern gedreht wurden, lebendig werden. "Wir wollten, dass sich exakt dieselben Gegenstände in diesen Filmen aus der Vergangenheit wiederfinden", erklärt Darras. Recherchieren, Figuren und Ausstattung bauen, proben, filmen, Musik komponieren - sehr viele verschiedene Arbeiten also, die parallel zu leisten und zu koordinieren waren. "Wir dachten, wir brauchen drei, vier Monate für die Produktion, aber bei der Arbeit mit Puppen erlebt man immer Überraschungen, wir brauchten ein Jahr", sagt Darras.

Ein "Meisterwerk" jubelte die belgische Presse. Es hat sich also gelohnt.

Die Vorstellungen des Figurentheaters "Silence" am 26. Mai, 20 Uhr, und 27. Mai, 17 Uhr, im Theater Überzwerg in St. Arnual, Erich-Kästner-Platz, sind ausverkauft. Das Festival Perspectives hat wegen der großen Nachfrage mit dem belgischen Night Shop Théâtre eine Zusatzvorstellung für Mittwoch, 27. Mai, 20 Uhr, organisiert. Karten im Vorverkauf für alle Perspectives-Vorstellungen gibt es in der Fürstenstraße. 15a, Saarbrücken .

festival-perspectives.de, nightshoptheatre.be

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HintergrundWie entsteht ein Festival? In Reportagen und Interviews wollen wir darstellen, was alles nötig ist, damit ein Festival wie Perspectives stattfinden kann. Wir haben den Zirkus-Akrobaten Rémi Lecocq (7. Mai) porträtiert, wir haben den Aufbau des Festivalclubs (13. Mai) gezeigt und mit dem Zauberer Yann Frisch gesprochen (16. Mai). Die Festivalchefin ist zu Wort gekommen (18. Mai), die Zirkusgruppe Akoreacro hat einen Blick auf ihr Wohnwagendomizil am Staatstheater gestattet (20. Mai), und Choreograf Ali Salmi hat die Vorbereitungen für sein Tanzprojekt im Nauwieser Viertel geschildert (21. Mai). In den nächsten Tagen stellen wir den Regisseur Fabrice Murgia vor, der schon 2013 mit Ghost Road bei den Perspectives vertreten war und jetzt mit "Children of Nowhere" (Ghost Road 2) wieder dabei ist. red

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