Aus Sicherheitsgründen ins Reich

Saarbrücken · Zu Beginn und zum Ende des Zweiten Weltkrieges wollten die Nazis im Saarland vielerorts freie Hand haben – also evakuierten sie Teile der Bevölkerung. In unserer Serie erzählen Saarländer, die damals vorübergehend in Sicherheit gebracht wurden, von ihren Erlebnissen im Deutschen Reich.

 So sah es aus, wenn die Nazis – hier sind es SA-Männer – während des Zweiten Weltkrieges die saarländische Bevölkerung von besonders gefährdeten Orten evakuierten und im Gebiet des Deutschen Reiches in Sicherheit brachten. SZ-Archiv-Foto: Güth

So sah es aus, wenn die Nazis – hier sind es SA-Männer – während des Zweiten Weltkrieges die saarländische Bevölkerung von besonders gefährdeten Orten evakuierten und im Gebiet des Deutschen Reiches in Sicherheit brachten. SZ-Archiv-Foto: Güth

Foto: Güth
 Diese Saarländerinnen machten sich nur mit leichtem Gepäck im Leiterwagen auf den Weg ins Reich. Foto: Stadtarchiv

Diese Saarländerinnen machten sich nur mit leichtem Gepäck im Leiterwagen auf den Weg ins Reich. Foto: Stadtarchiv

Foto: Stadtarchiv

In den letzten Wochen haben wir Berichte von Saarländern veröffentlicht, die Evakuierung und Flucht zu Beginn und am Ende des Zweiten Weltkriegs erlebten.

Zahlreiche Leserinnen und Leser wurden dadurch an eigene Erlebnisse in dieser Zeit erinnert und haben sich bei uns gemeldet. Deshalb bringen wir nun noch einen kleinen Nachtrag. Vier weitere Betroffene lassen wir hier nun noch zu Wort kommen.

Den Anfang macht der Saarbrücker Günther Kranz. Bei der zweiten Evakuierung war er neun Jahre alt, und er hat so viel erlebt, dass er fest entschlossen ist, darüber ein Buch zu schreiben, vor allem für seine Kinder. 1944 war die Familie in der Fränkischen Schweiz gelandet.

Da gab es keine Angriffe, das Leben verlief in fast normalen Bahnen. Und der kleine Günther wurde noch schnell ins "Jungvolk" eingegliedert. In der freien Zeit hat er, zusammen mit Gleichaltrigen, die Gegend erforscht.

Da gab es ein Konzentrationslager, wo Naziopfer eingesperrt waren, die sich in einem Steinbruch zu Tode schuften mussten. Und ganz in der Nähe war eine SS-Nachrichtentruppe stationiert.

Nun fiel Günther und seinen Kumpels eines Tages beim Herumstreunen auf, dass diese ganze Truppe plötzlich verschwunden war - unter Hinterlassung ihrer kompletten Ausstattung, einschließlich vieler Radios. Was haben da die Buben gemacht? Sich erst mal zwei Radios organisiert.

Auf dem Rückweg kamen sie am KZ vorbei. Hinter den Gittern standen aufgeregt die gefangenen Naziopfer und fragten, ob die SS-Leute noch zu sehen seien.

Als sie hörten, dass die verschwunden waren, da haben die Gefangenen gejubelt, denn ihre Kerkermeister und Folterknechte waren weg - davongelaufen vor der US-Armee, die im Anmarsch war. Und da konnten auch die KZ-Gefangenen das Lager verlassen. Wenig später war ganz Deutschland befreit und der Krieg vorbei.

Bei Hans Dieter Kreis, einem gebürtigen Molschder, Jahrgang 1937, ist die Familien-Broschüre mit seinen Erinnerungen schon fertig. Einige Stichworte: Haus zerbombt, Vater in Russland - "ich kannte ihn nur vom Erzählen meiner Mutter". 1940 erste Evakuierung nach Thüringen. Später zweite Evakuierung, nach Bayern.

Und die Luftangriffe: "Wenn die Sirenen heulten, rannten wir zum Bunker." Aber auch Bunker waren nicht sicher: "Einmal wurde der obere Bunkereingang von Brandbomben getroffen und stürzte ein." Furchtbare Erinnerung: der Bunker voller Qualm.

Endlich draußen dann die brennenden Häuser, die brennende Kirche St. Josef. Im Schutt lagen viele Brandbomben , die nicht noch explodiert waren - eine fürchterliche Gefahr. Ganz schlimm auch die Erinnerung an die aufgereihten Toten nach den Bombardements. Dass die Buben, als sie einen Maschinengewehrgurt mit Patronen fanden, die Dinger auch anzündeten - klar.

Anneliese Kraffert geb. Sehn aus St. Arnual - ihr verstorbener Ehemann Heinz war viele Jahre lang Leitender Redakteur der SZ - ist 1920 geboren. Sie hat - zieht man die Evakuierungen ab - ihr Leben in St. Arnual verbracht, ist noch fit und lebensfroh. Und auch in ihren Erzählungen über die Kriegszeiten hat sie es lieber mit den positiven und manchmal eher skurrilen Dingen zu tun: dass sie zum Beispiel bei der ersten Evakuierung mit ihren Eltern ausgerechnet auf der Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz untergebracht war. Wieder zurück in St. Arnual - sie war Sprechstundenhilfe - wurde ihr Chef , der einzige Arzt in St. Arnual, als Militärarzt eingezogen. Aber der Ort wurde, was die medizinische Versorgung angeht, gerettet - die heute noch bei älteren St. Arnualern sehr bekannte Ärztin Dr. Elisabeth von Felsenbrunn übernahm die Praxis. Sie war allerdings durch Kinderlähmung schwer körperbehindert.

Und nun häuften sich die Angriffe, alle mussten in Keller und Bunker - aber die Ärztin konnte nicht gehen. "Da hab' ich sie einfach immer huckepack auf den Rücken genommen und hab' sie getragen" erzählt Anneliese Kraffert. Zusammen haben sie dann auch die zweite Evakuierung erlebt, "und die Medikamente haben wir in Kartoffelsäcken mitgenommen". Es hat sie nach Rothenburg ob der Tauber verschlagen, und das war ein Glücksfall: Die Alliierten verschonten die romantische alte Stadt von den Bombardements. Und noch ein Autor ist Fred Robert aus Rilchingen-Hanweiler, 83 Jahre alt.

Er hat ebenfalls über seine Kriegserinnerungen ein kleines Buch geschrieben - aber auch nur für die Familie. Damit nicht in Vergessenheit gerät, was heute kaum mehr vorstellbar ist: wie der Gemeindebote mit der Schelle durch den Ort ging, um den Bewohnern mitzuteilen, dass sie innerhalb weniger Stunden alle in Sicherheit gebracht würden - mit Bussen. Schnell zusammenpacken. Aber was?

Gerade mal ein Rucksack war erlaubt. In Thüringen ist die Familie dann gelandet. Und sie haben mit den Leuten, bei denen sie Unterschlupf fanden, eine so solide Freundschaft gepflegt, so dass sie auch bei der zweiten Evakuierung hinkommen durften.

Abenteuerliche Dinge hat Fred Robert auch über die "Rückführung" aus der Evakuierung zu berichten. Personenzüge fuhren da noch nicht. Also wie nach Hause kommen? Glücksfall: Unter den Männern waren ehemalige Bahn-Mitarbeiter.

Die haben dann organisiert, dass die Gruppe in einem Güterwaggon fahren durfte - ohne Fenster, also zappenduster. Keine Sitzgelegenheiten. Kein Klo. Manchmal stand der Waggon tagelang auf einem Gleis, bis er wieder irgendwo angehängt wurde.

Und niemand wusste, ob das bisschen gehortete Verpflegung reichen würde. Übrigens weiß Fred Robert auch noch, was mit den Saarländern geschah, die sich - auch das gab es - bei der Evakuierung kategorisch weigerten, die Heimat zu verlassen: Sie wurden in einem Stollen bei Völklingen einquartiert - und dahin brachten sie nicht nur Kind und Kegel mit, sondern auch die Hühner. Und sogar Kühe. Man musste ja von was leben.

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