Am Hafen der Liebe darf jeder ankern

Saarbrücken · Wo verbringen junge Leute in der Region ihre Freizeit? Was ist angesagt? Gibt es sie, die Orte, an denen sich jeder trifft? Zum Feiern – oder einfach zum Abhängen. Die SZ hat sich auf die Suche gemacht und stellt in einer Serie diese Orte vor. Heute: zu Besuch am Biergarten und Club am Silodom am Saarbrücker Osthafen.

 Till, Orlando und Lena (von links nach rechts) genießen am Silo die Ruhe vor dem Trubel in der Stadt.Location:Saarbrücken

Till, Orlando und Lena (von links nach rechts) genießen am Silo die Ruhe vor dem Trubel in der Stadt.Location:Saarbrücken

Foto: Oliver Dietze

Eine Indianerin kommt auf dem Roller an. Keine echte natürlich. Fransenbesetztes Lederkleidchen, Mokassins an den Füßen - ihr Kleidungsstil. Andere kommen direkt von der Arbeit. Noch schick in Anzughose und Hemd. Junge Kerle haben ihr T-Shirt ausgezogen. Ihre nackten Oberkörper sind rot von der Sonne. Jungs werfen sich einen Baseball zu. Dazwischen spielen Hunde, große, kleine, weiße und braune. Am Hafen der Liebe suchen sie an diesem Nachmittag alle das Gleiche: die Abgeschiedenheit, die Flucht aus dem Alltag.

Weit weg vom Abgasmief und dem Trubel auf dem St. Johanner Markt. Am alten, meterhoch in die Luft ragenden Getreide-Silo. DJ Henk the Tenk hat die überraschende Sonne genutzt. Er legt Platten auf. Elektronische, aber entspannende Sounds. Noch fließen im Biergarten Kaffee, Limo oder ein Feierabendbierchen. Das ändert sich in ein paar Stunden. Auf dem stillgelegten Industriegelände steigen auf drei Tanzbereichen "bombastische Partys ", wie sie Janis Mudrich, einer der vier Verantwortlichen, beschreibt. Bis morgens um zehn Uhr durchtanzen und feiern - Standard am Wochenende. "An so einem verrückten Ort passieren immer wieder Dinge, die man nicht für möglich hält", erzählt der 26-jährige Student und Gastronom. Delfine in der Saar etwa. Die sollen gleich mehrere Gäste von der Biergartenterrasse aus im angrenzenden Hafenbecken beobachtet haben. Nein, es war kein Alkohol im Spiel. "Das ist der typische Wahnsinn hier", sagt Janis. Wie die Geschichte ausging, weiß er nicht.

Vor drei Jahren hat ein Freund von Janis das Gebäude am Saarbrücker Osthafen gekauft. Zuvor hatte er nur das Café Thonet am St. Johanner Markt betrieben. "Wir waren alle Fans von geilen Partys , aber auch von der familiären Atmosphäre eines Biergartens", erzählt er über die Gründung. Am Silo ging alles zusammen: Biergarten, Partys und Essen. Aber das bringt Probleme mit sich. "Wenn tagsüber Familien mit kleinen Kindern im Biergarten sitzen, und zuvor aber bis in die Morgenstunden gefeiert wurde, dürfen keine kaputten Bierflaschen mehr herumliegen", sagt er. Das funktioniert auch.

Das Silo hat sich entwickelt. Der abgeranzte Toilettenwagen aus der Anfangszeit ist verschwunden. Fest installierte Toiletten gibt es jetzt. "Die Leute merken, dass sich hier nach und nach etwas tut", sagt Janis. Graffitis an den Mauern der alten Industriehallen, abblätternder Putz des Getreide-Silos vor dem Hafenbecken der Saar - das Silo hatte schon immer unfassbar viel Potenzial, wie Janis findet, aber niemand habe zuvor etwas daraus gemacht. Bis die vier Jungs Daniel Scherhag, Janis Mudrich, Ignazio Caporrimo und Cebrail Kaya kamen und "immer eine Schippe drauf gelegt haben". Mit dem Osthafenfest zum Beispiel. Immer größer, immer verrückter.

So soll das Silo dieses Jahr zum ersten Mal auch im Winter ein Ort werden, an dem man sich trifft. Romantisch am Kaminfeuer. Einen Kamin gibt es nämlich in den alten Gemäuern noch - warum also nicht nutzen? Bis dahin sind die Jungs noch dabei, das komplette Heizsystem zu erneuern. "Wenn man Dinge versucht zu erzwingen, geht's meistens schief", sagt er aus Erfahrung. Deshalb geht hier vieles in kleinen Schritten voran.

Wer Ruhe im Grünen sucht, kuschelt sich in das alte Barock-Sofa unter den Bäumen. So wie Lena (22), Till (26) und Orlando (25). "Es gibt sonst wenige Plätze in Saarbrücken , wo man richtig abschalten kann", findet Till. "Hier ist kein Laufsteg. Man könnte sich nackig machen und es würde keinen interessieren", sagt er. In der Natur Leute treffen und gute Musik hören. Der perfekte Tag für die drei. Aber auch abends machen sie gerne das Silo unsicher. Sabine (39) und Danny (40) wollen lieber näher am Geschehen sein. Auf den breiten Holzstufen vor der Bar. "Ich dachte immer, es gibt nur Uncooles in Saarbrücken . Dann habe ich das Silo entdeckt", sagt Danny. Raus aus der Stadt, zum Silo kommt nicht jeder. Und das genießen sie. "Wenn es überlaufen wäre, würde es seinen Reiz verlieren", sagt Sabine.

Was geht in der bunten Oase mitten zwischen grauen Industriegebäuden und grüner Natur eigentlich am meisten über die Theke? Snickers-Eis und Club Mate. Club Mate, das koffeeinhaltige Energiegetränk der jungen Wilden. Aber auch selbstgemachte Kuchen und Brezeln stillen den kleinen Hunger. Das Silo beschreibt Janis am liebsten mit den drei Worten: "Peace. Love. Osthafen." Passend für den Ort, denn egal ob Indianer , Hunde, Hippies oder Familien - am Hafen der Liebe darf jeder seinen Anker werfen.

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