Alterspräsident hält JungfernredeLey will mehr Bürgernähe des ParlamentsInterview

Saarbrücken. Kurz vor zehn am Morgen im Plenarsaal: Im Gewusel von Kamerateams und Fotografen sind viele Abgeordnete suchend zwischen den Tischreihen unterwegs. Heute gilt keine Sitz-Ordnung nach der politischen Farbenlehre, sondern nach dem Alphabet. Ein wachsames Auge auf die Namenskärtchen scheint unerlässlich

Saarbrücken. Kurz vor zehn am Morgen im Plenarsaal: Im Gewusel von Kamerateams und Fotografen sind viele Abgeordnete suchend zwischen den Tischreihen unterwegs. Heute gilt keine Sitz-Ordnung nach der politischen Farbenlehre, sondern nach dem Alphabet. Ein wachsames Auge auf die Namenskärtchen scheint unerlässlich. Alte Politik-Hasen machen das mit mehr, Parlaments-Frischlinge mit weniger Routine. Manchem Neuling ist die Anspannung des Tages unschwer am Gesicht abzulesen.

Als Alterspräsident eröffnet Rolf Linsler Punkt zehn die Sitzung: mit 67 eine Jungfernrede. Der Landeschef der Saar-Linken wertet die fünfte Fraktion im Parlament - ohne die Linkspartei beim Namen zu nennen - als belebendes Element in der Landespolitik. Er selbst und viele andere Menschen im Land hätten sich in den vergangenen Jahren von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten gefühlt, bemerkt Linsler. Er erinnert daran, dass "eine deutsche Bundesregierung für ihre neoliberale Reformpolitik mit der Aussage geworben hat, dass es zu ihr keine Alternative gibt". Bei der Landtagswahl am 30. August sei allerdings zu den vier Alternativen eine fünfte hinzugewählt worden. "Und das ist auch gut so", stellt der Alterspräsident fest. Das Hohe Haus quittiert die zehnminütige Rede nicht mit ungeteiltem Beifall. Bei CDU und FDP rührt sich keine Hand. "Zu parteipolitisch", urteilt man später beim Landtags-Empfang. Als Linsler nach getaner Arbeit wieder auf seinem Abgeordneten-Sessel Platz nimmt, gibt es einen freundschaftlichen Klaps von Oskar Lafontaine.

Zuvor hat Linsler noch die Wiederwahl von Landtagspräsident Hans Ley geleitet. Der CDU-Politiker, seit 1999 in diesem Amt, erhielt entsprechend den parlamentarischen Gepflogenheiten die Stimmen aller Parteien. Zwanzig Minuten lang diktiert er den Abgeordneten einige Themen ins politische Stammbuch, die es in den kommenden fünf Jahren zu beackern gilt. So die wachsende Staatsverschuldung, "die eine entscheidende Zukunftsfrage für das Saarland ist". Das weitere Anwachsen des Schuldenberges zu verhindern, gehöre zu den größten Herausforderungen, die sich dem Land stellen, diagnostiziert Ley.

Vor der Sitzung hatten die beiden großen Kirchen in einem ökumenischen Gottesdienst in der Ludwigskirche an die Verantwortung der Abgeordneten appelliert. Die Armen, Verletzlichen und Benachteiligten dürften nicht vergessen werden, sagte der Präses der evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann, der für den Gottesdienst die Bischofskonferenz in Fulda unterbrochen hatte, empfahl den Parlamentariern ein "hörendes Herz" für die Bürger. Sachzwänge dürften nicht das letzte Wort haben. Kommt in dieser Legislaturperiode eine Parlamentsreform?

Ley: Auch diesmal wird es sicherlich die ein oder andere Veränderung geben. Wichtig ist mir, dass unser Parlament die Themen, die bei den Menschen eine Rolle spielen, diskutiert - und zwar transparent und verständlich. Nur so erhalten und gewinnen wir Vertrauen. Wir sollten in diesem Zusammenhang aber neu darüber nachdenken, ob wir nicht eine Reform des Wahlrechts zum Landtag anstreben sollten. Ich greife meinen Vorschlag wieder auf, eine bestimmte Anzahl von Abgeordneten direkt wählen zu lassen. Dies könnte nach dem Beispiel des personalisierten Verhältniswahlrechts zum Bundestag erfolgen.

Wo sehen Sie in den kommenden fünf Jahren die Schwerpunkte der Landtags-Arbeit?

Ley: Neben der Schaffung von Arbeitsplätzen sehe ich insbesondere drei Schwerpunkte: erstens die Europapolitik auf Grund wachsender Einflüsse europäischer Gesetzgebung auf die Länderkompetenzen; zweitens der demographische Wandel, der uns vor große Herausforderungen stellt; drittens schließlich die Nachhaltigkeit unserer Politik vor dem Hintergrund der dramatischen Staatsverschuldung. Die Bewältigung dieser Aufgabe ist die Zukunftsfrage für unser Land.

Braucht das kleine Saarland den Vollzeit-Parlamentarier? Wäre ein Feierabend-Parlament nicht ausreichend?

Ley: Wir haben nach wie vor das kleinste Parlament in Deutschland mit den geringsten Kosten pro Abgeordnetem. Da wir jedoch die gleichen Gesetze zu beraten und zu beschließen haben wie alle anderen Parlamente, bedeutet dies mehr Arbeit für jeden einzelnen. Zudem wurden dem Landtag durch die Föderalismusreform neue Zuständigkeiten übertragen. Die Saarländer haben den gleichen Anspruch auf qualifizierte parlamentarische Vertretung wie andere. Deshalb halte ich ein Feierabendparlament nicht für machbar und auch nicht für sinnvoll.

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