624 Heimkinder wollen Entschädigung

Saarbrücken · Für das Unrecht, das ihnen in den 50er bis 70er Jahren in Kinder- und Jugendheimen angetan wurde, wollen 624 Saarländer entschädigt werden. Wie viele Kinder damals tatsächlich im Heim lebten und wie sie behandelt wurden, wird derzeit wissenschaftlich aufgearbeitet.

624 ehemalige Heimkinder im Saarland haben Geld aus dem Fonds "Heimerziehung West" beantragt. Viele Kinder und Jugendliche, die zwischen 1949 und 1975 in einem Heim in Deutschland untergebracht waren, machten traumatische Erfahrungen - sie wurden gedemütigt, misshandelt und geprügelt. Dieser Umstand drang erst vor einigen Jahren ins öffentliche Bewusstsein. Ein Runder Tisch "Heimerziehung " wurde auf Initiative des Bundes gegründet, an dem Vertreter der Politik, der Kirchen, der öffentlichen Träger und der ehemaligen Heimkinder saßen.

Zwischen 2009 und 2011 arbeiteten sie die Heimerziehung der 50er und 60er Jahre auf und kamen zu dem Schluss, dass es durchaus Heime gab, die angemessen mit den Kindern umgingen und sie förderten, dass dies jedoch viel zu selten der Fall war. Sie befassten sich auch mit der Frage, wie das erlittene Unrecht der ehemaligen Heimbewohner entschädigt werden kann. Schließlich wurde der Fonds "Heimerziehung West" auf den Weg gebracht: 120 Millionen Euro , finanziert zu je einem Drittel von Bund, Ländern und Kirchen. Schon nach kurzer Zeit war der Fonds ausgeschöpft, 2015 wurde er auf 302 Millionen Euro aufgestockt und seine Laufzeit bis Dezember 2018 verlängert.

Betroffene konnten für Folgeschäden aus der Heimerziehung bis zu 10 000 Euro in Form von Sachleistungen beantragen. Die Idee war, dass Menschen, die durch ihren Heimaufenthalt lebenslang traumatisiert und deshalb in ihrem Alltag beeinträchtigt sind, Geld erhalten, etwa für Elektrogeräte, Reisen oder therapeutische Maßnahmen. Zudem werden aus dem Fonds Rentenersatzleistungen finanziert: Wer während seiner Zeit im Heim arbeiten musste, ohne dass dafür in die Sozialversicherung eingezahlt wurde, bekommt pro Monat Arbeit 300 Euro.

Im Saarland wurden bislang rund 2,4 Millionen Euro für materielle Hilfen und 1,1 Millionen für Rentenersatzleistungen bewilligt. Die Antragsfrist ist lange abgelaufen, abgearbeitet sind die Anträge aber noch lange nicht. Rund ein Viertel sei bisher ausgezahlt und abgeschlossen worden, heißt es im Sozialministerium. Das Prozedere ist langwierig: Jeder Antrag, den die Anlaufstelle im Saarland genehmigt hat, muss vom Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Angelegenheiten geprüft werden. Nicht nur deshalb stand der Fonds bei ehemaligen Heimkindern in der Kritik: Viele scheuten den bürokratischen Aufwand, einige forderten eine pauschale Entschädigung für alle.

624 Personen - das dürfte nur ein Bruchteil der ehemaligen Heimkinder im Saarland sein. Wie viele es tatsächlich waren, die zwischen 1949 und 1975 in kirchlichen und öffentlichen Einrichtungen lebten, ist bislang noch unklar. In ganz Westdeutschland waren es rund 800 000. Seit Januar 2015 befasst sich ein Forscherteam um Professor Christian Schrapper, Pädagoge an der Universität Koblenz-Landau , mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Situation im Saarland: Wie viele Kinder waren überhaupt in Heimen untergebracht? Aus welchen Gründen? Wie wurden sie behandelt? Mussten sie Zwangsarbeit verrichten? Sieben Mal tagt dazu ein Runder Tisch im Saarland, an dem auch Betroffene, Vertreter von Heimen und Trägern, der Jugendämter und des Sozialministeriums sitzen. Bis Ende des Jahres soll die Arbeit abgeschlossen sein.

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HintergrundDer bisherige Stand der Forschung: 1959 gab es im Saarland 19 Einrichtungen (8 Kinderheime, 10 Jugendheime und ein altersübergreifendes Heim). 1975 waren es 27 (18 für Kinder, 5 für Jugendliche, 4 altersübergreifende). Der Großteil war in kirchlicher Hand, so etwa das Don-Bosco-Heim in Saarbrücken , das Hospital in St. Wendel und das Evangelische Kinderheim "Auf der Höh" in Wiebelskirchen.Anfang 2017 werden die Ergebnisse des Forschungsprojekts der Öffentlichkeit vorgestellt. noe

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