2013 liefen im Saarland über 1300 Kinder und Jugendliche von Zuhause weg

Saarbrücken · Die Zahl der Kinder und Jugendlichen im Saarland, die eine Zeit lang als vermisst galten, hat sich in den letzten acht Jahren verdoppelt. Erklären können den hohen Anstieg weder die Polizei, noch die Jugendämter.

 Bei der Suche nach Vermissten kommen oft Rettungshunde zum Einsatz. Foto: bub

Bei der Suche nach Vermissten kommen oft Rettungshunde zum Einsatz. Foto: bub

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Vor allem immer mehr junge Menschen im Saarland verschwinden plötzlich, und besorgte Eltern , Nachbarn oder Jugendämter wenden sich dann hilfesuchend an die Polizei . Waren es im Jahr 2006 noch 710 von der Polizei insgesamt registrierte Vermissten-Fälle (mit Erwachsenen), so verdoppelte sich ihre Zahl bis 2013 auf 1554 Fälle pro Jahr - so berichtet das Landespolizeipräsidium auf Anfrage der Saarbrücker Zeitung.

Auffällig ist demnach der massive Anstieg der Fälle bei Kindern unter 14 Jahren und bei Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren. Bei den Jugendlichen stieg in dem Zeitraum zwischen 2009 bis 2013 die Zahl der Vermissten-Meldungen von 507 auf rund 1100 Fälle an. Bei den Kindern kam es zu einem Plus von 158 Prozent - ein Anstieg von 90 auf 232 Fälle. Bei Erwachsenen stieg die Zahl der Vermissten dagegen nicht. Zwischen 193 und 240 Menschen verschwanden in den einzelnen Jahren.

So richtig erklären kann den Anstieg niemand. Stefan Kiefer, Pressesprecher des Regionalverbandes Saarbrücken , verweist auf die vielen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge . Diese kämen seit 2011 nach dem Überscheiten der Grenze in die Obhut der Jugendämter und "büxten" ziemlich häufig wieder aus, erläuterte Kiefer. Das treibe die Zahlen "ein Stück weit" nach oben. Die Polizei stimmt sich mit den Jugendämtern nur ab, wenn ein Erziehungsberechtigter fehle, so Kiefer. Ansonsten müssen sich Eltern nach der Vermisstenmeldung eigenständig beim Jugendamt melden, um unterstützt zu werden.

Stefan Behr, zweiter Vorsitzender des saarländischen Kinderschutzbundes, ist sehr überrascht über den Anstieg - obwohl die sozialen Probleme schon lange bekannt seien. Kinder und Jugendliche aus Problem-Familien bräuchten Unterstützung durch Dritte, am besten in einer Gruppe. "Doch es gibt zu wenig Gruppenangebote im Saarland." 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen, die Hilfe nötig hätten, würden nicht unterstützt, schätzt Behr. Er sieht den entscheidenden Schritt zur Lösung der Probleme der Kinder und Jugendlichen in der Bereitschaft von Eltern , sich Hilfe von außen zu holen. Immerhin ein Drittel der Eltern sei bei der Erziehung überfordert. Scheidungskinder hätten schlechte Karten - bei zerstrittenen Eltern kämen die Kinder oft in eine verhängnisvolle Machtposition, sagte Behr. Oft seien "Eltern hilflos Grenzen zu setzen". Für manches Kind sei es dann nur noch ein kleiner Schritt zum Weglaufen.

Wenn die Suche startet, sind neben der Polizei auch oft THW, Deutsches Rotes Kreuz oder der Verein Bundesverband Rettungshunde beteiligt. Sie stellten speziell ausgebildete Suchhunde bereit. Auch dort macht sich die Situation bemerkbar. "Es ist mehr geworden", berichtet etwa Heike Becker aus Schiffweiler, die seit mehr als 15 Jahren Hundeführerin ist und heute mit ihrem ausgebildeten "Man-Trailer"-Hund angefordert wird, um vermisste Menschen zu suchen. Ob eine soziale Situation hinter dem Verschwinden steckt, kann sie nur vermuten, doch viele Menschen seien immer schlechter integriert. Ob allerdings eine erfolgreiche Suche das wirkliche Problem löst ist, sei fraglich. Hinter vorgehaltener Hand war auch zu hören: "Nicht jeder ist glücklich, wenn er gefunden wird."

Im Jahr 2013 blieben nur rund 15 Prozent der Fälle auch am achten Tag nach dem Verschwinden noch ungelöst. "Die meisten kommen wieder zurück", hieß es von der Polizei , "andere werden ermittelt oder sind als Streuner bekannt." Doch schwer wurde es für die Angehörigen in den fünf Prozent der Fälle, in denen Menschen für länger als 30 Tage verschwanden. Und manchmal dauert die Auflösung eines Falles extrem lange. 38 in 2012 und 16 in 2011 verschwundene Personen wurden erst im Jahr 2013 ermittelt. Einige unbegleitete minderjährige Flüchtlinge rutschten mit Überschreiten des 18. Lebensjahres aus der Vermissten-Statistik. Zwölf Erwachsene , die in den Jahren 2011 und 2012 verschwanden, konnten 2013 nur noch tot geborgen werden, so eine Sprecherin des Landespolizeipräsidiums.

Zum Thema:

Auf einen BlickHilfsangebote für Menschen, die plötzlich ihr Lebensumfeld verlassen, und für ihre Angehörigen im Saarland: Fachdienst Notfallseelsorge und Kriseninterventation Saarland (NKS). Gerufen wird der NKS von Rettungsdienst, Polizei oder Feuerwehr. Ehrenamtlich tätige Spezialisten stützen und stabilisieren die unter Schock oder Trauma stehen Menschen. Für Menschen in Not ist zudem die Telefonseelsorge Saar da. Fast 50 Menschen werden dort täglich beraten. Tel.: (08 00) 1 11 01 11 und (08 00) 1 11 02 22. Im Internet: www.telefonseelsorge-saar.de . adr

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