Neuer Streit über Integration Behinderter

Saarbrücken. Als sich der scheidende Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe, Robert Antretter, unlängst in Spiesen-Elversberg für den Fortbestand von Förderschulen und anderen Sondereinrichtungen für behinderte Menschen aussprach, löste er eine lebhafte Debatte aus

Saarbrücken. Als sich der scheidende Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe, Robert Antretter, unlängst in Spiesen-Elversberg für den Fortbestand von Förderschulen und anderen Sondereinrichtungen für behinderte Menschen aussprach, löste er eine lebhafte Debatte aus. Der Verein Miteinander Leben Lernen nannte seine Begründung, dass es nach der UN-Behindertenkonvention auf die freie Entscheidung des behinderten Menschen ankomme, wo er leben oder zur Schule gehen wolle, schlicht "falsch". Denn die Konvention stelle klar den Vorrang gemeinsamer Bildungs- und Wohnangebote für Behinderte und Nichtbehinderte fest. Zudem sei ein Nebeneinander von Förder- und Regelschulen schlicht "nicht mehr zu finanzieren".Dagegen gaben der CDU-Landtagsabgeordnete Hermann-Josef Scharf und der Landeschef des Verbands Sonderpädagogik, Erich Schwarz, Antretter Recht. Schwarz vertrat die Ansicht, dass in der Konvention eine Wahl zwischen verschiedenen Schul- typen vorgesehen sei. Wenn man sich Förderschulen aus Geldmangel nicht mehr leisten könne, stehe es "auch schlecht um die Inklusion", also das Miteinander von behinderten und nichtbehinderten Menschen. Denn diese koste erst recht Geld. Scharf hob hervor, dass schwerstbehinderte Kinder "Schonräume" wie Förderschulen benötigten. Zudem verwies er auf Belastungen, denen Werkstatt-Beschäftigte ausgesetzt seien, die den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt schaffen sollen. Wenn es nicht klappe, falle später die Rückkehr in die Werkstatt um so schwerer.

Das Wort von Scharf, der Geschäftsführer der Lebenshilfe im Kreis St. Wendel ist, hat in der CDU Gewicht. Bemerkenswert ist seine Stellungnahme auch deshalb, weil Sozialminister Andreas Storm (CDU) kürzlich angekündigt hatte, die Integrationsquote - also den Anteil behinderter Schüler, die in Regelschulen unterrichtet werden, von derzeit 41 auf "deutlich über 50 Prozent" bis 2016 erhöhen. Während Storm die Voraussetzungen dafür schaffen will, dass sich noch mehr Eltern behinderter Kinder für den Besuch einer Regelschule entscheiden, wirbt Scharf um Verständnis für Eltern, die ihr Kind dessen ungeachtet weiterhin in eine Förderschule schicken.

Eltern: Mehr Förderstunden

Eine ganz andere Sorge treibt die Chefin der Landeselternvertretung der Förderschulen, Petra Moser-Meyer, um. Sie fürchtet, dass die Regierung versucht sein könnte, das Ziel einer höheren Integrationsquote dadurch zu erreichen, dass sie sich dabei auf leichter behinderte Kinder - etwa solche mit einer Lernbehinderung - konzentriert. Denn bei ihnen ist die Aufnahme in eine Regelschule oft mit weniger Aufwand verbunden als bei jenen mit einer geistigen oder einer Mehrfachbehinderung.

Daher fordert Moser-Meyer, Regelschulklassen, die schwerer behinderte Schüler aufnehmen, deutlich mehr Förderstunden zuzuweisen: "Vier bis sechs Stunden pro Woche - wie bisher - sind bei einem geistig behinderten Kind in einer Regelschule lächerlich." Nötig wäre stattdessen eine ständige "Doppelbesetzung" für eine solche Klasse - wobei die zweite Person ihres Erachtens keine Lehrerin sein müsste, sondern auch eine Erzieherin mit sonderpädagogischer Zusatzausbildung sein könnte. Außerdem, so Moser-Meyer, hielte sie es für angebracht, Kinder mit einer schweren Behinderung beim Klassenteiler mehrfach zu zählen.

Bisher steckt die Inklusion bei Schülern mit geistiger Behinderung im Saarland noch in den Kinderschuhen. Im Jahr 2010 wurden von einhundert geistig behinderten Schülern im Saarland nur vier in einer Regelschule unterrichtet (siehe Infografik). Auf die Frage, wie das Saarland die Integrationsquote in diesem Bereich anheben will, antwortete der Sprecher von Bildungsminister Ulrich Commerçon (SPD), man wolle "den hausinternen Beratungen zur Inklusion nicht vorgreifen".

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