Rubenheim „Man muss mit de Leid schwätze“

Gunter Altenkirch sammelt seit 68 Jahren Gegenstände der dörflichen Alltagskultur. Sein Museum in Rubenheim ist eine riesige Schatzkiste.

 Gunter Altenkirch in seinem Museum für dörfliche Alltagskultur und Aberglaube.

Gunter Altenkirch in seinem Museum für dörfliche Alltagskultur und Aberglaube.

Foto: Robby Lorenz

Denise Altenkirch überquert in der Hitze des Sommermittags die Dorfstraße und bringt einen Stapel Bücher in den öffentlichen Bücherschrank gegenüber. Das Horten und Sammeln liegt offensichtlich nicht allen im Hause Altenkirch im Blut. Ihr Mann Gunter hingegen ist infiziert seit seinem achten Lebensjahr. Ein Blick in sein Museum für dörfliche Alltagskultur im Gersheimer Ortsteil  Rubenheim genügt, und man weiß: Er gibt nichts weg. 30 000 Objekte hat er gesammelt, davon etwa 1400 zum Thema Aberglaube. Ausgestellt sind rund 2500 Objekte.

Altenkirch, im Mai 76 Jahre alt geworden, hat sein Museum für dörfliche Alltagskultur 1988 gegründet, 2013 kam das Museum für Aberglaube hinzu. Beide bilden sozusagen eine Einheit.

Betritt man den einstigen Stall des südwestdeutschen Einhauses, weiß man nicht, wo zuerst hinschauen. Einem Ingenieur hätte man eine solche Sammelleidenschaft nicht zugetraut. Andererseits braucht es die Genauigkeit eines Ingenieurs, um so akribisch vorzugehen, wie Altenkirch es tut. Er schreibt auf, was er weiß. Und er weiß es, weil er sich mit Menschen unterhält. Rund 10 000 Zeitzeugen hat er befragt.

Während es die jungen Leute aus dem Dorf in die Stadt zieht, bewahrt Altenkirchen, was es zu bewahren gibt: vom Dorfalltag, vom Aberglauben. Auch von der Arbeiterkultur. Arbeiter haben in kargen Zeiten aus Schrott Alltagsgegenstände gefertigt. Die kann man bei Altenkirch sehen – und staunen. Der Sammler selbst wird nicht müde, den Ideenreichtum zu loben. Und über die „Saggarbeit“ der Saarländer zu sprechen. Als das Saarland 50 wurde, beschäftigte sich das Museum mit der „Sackarbeit“. Altenkirch schreibt dazu: Dabei handele es sich nicht – wie allgemein angenommen – um das Basteln von  Schwenkern, sondern um das Herstellen von Gebrauchsgegenständen für den Haushalt, die Nebenerwerbslandwirtschaft und den  Garten.

Diese Geräte wurden in den Werkstätten der Industrie, des Bergbaues und der Eisenbahnwerkstätten in der Regel aus Abfallmaterialien hergestellt. Dabei entstanden, so bewertet es Ingenieur Altenkirch,  teilweise hervorragende handwerkliche und technische Lösungen.

Altenkirch wird nicht müde zu erläutern, dass die innovativen Leistungen der Industriehandwerker verkannt wurden. Es stimme nicht, dass Einzelne sich hätten bereichern wollen. In der Zeit zwischen den Weltkriegen seien Handel und Industrie nicht in der Lage gewesen, die einfachen Menschen mit dem nötigsten Gerät zu versorgen, die man damals benötigte, um zu überleben.Daraus, sagt er, sei später das Verbesserungsvorschlagswesen entstanden.

Mit 76 Jahren fragt sich Altenkirch natürlich: Wie soll es weitergehen mit seinen Museen? Es ist die Frage und die Sorge, die auch viele Heimatmuseen umtreibt: Wohin mit den Beständen? Die Bezeichnung Heimatmuseum für sein Museum mag Altenkirch nicht. Seine Begründung: Heimatmuseen beschäftigten sich mit ihrem Dorf. Er aber sei Volkskundler. Sein Wissen basiert auf sammeln und reden. „Man muss mit de Leid schwätze“, sagt er. Und damit er nicht vergisst, was sie ihm sagen, schreibt er alles auf. 550 000 Karteikärtchen hat er beschrieben.

Wer will das alles sehen? Wer will das alles wissen? Gerade war eine Schulklasse aus Karlsruhe zu Besuch. Sonntags kommen häufig Gruppen. Die führt er dann durch sein Reich. Glaube bloß niemand, das sei in einer halben Stunde erledigt. Es gibt unendlich viel zu sehen. Und dann ist da ja noch der Erzähler Altenkirch. Der weiß zu jedem Stück etwas zu sagen.

Die Schätze seiner Sammlung hat Altenkirch zu kleinen Ausstellungen zusammengefasst. Da sind Nachttöpfe und Toilettenstühle zu sehen. Da wird über die bäuerliche Eisherstellung informiert. Wer weiß denn heute noch, dass das Herstellen von Eis ein Nebenerwerb der Bauern war? Vor der Erfindung elektrischer Kühlgeräte war das nötig. Das Eis wurde im Winter gesägt und in Eiskeller transportiert. Davor befand sich ein Kühlraum für Fleisch und Getränke. Altenkirch erzählt das sehr anschaulich und erinnert auch daran, dass es in Walsheim mal eine Brauerei gab, die natürlich auch Eis benötigte.

Altenkirchs Fundus scheint unerschöpflich, und man versinkt fast in der Fülle des Gezeigten. Bis Spielzeug den Blick auf sich zieht. Kleine Tierfiguren aus Leder, etwa ein Rehkitz sind da zu sehen. Altenkirch hat hiermit auch ein wenig Familiengeschichte in seinem Museum untergebracht. Die Figuren hat seine Schwiegermutter aus Wachstuch genäht. Oder der Papagei, der sich hin und her bewegt. Hintergrund: Um 1900 war es im Bürgertum Mode, sich Papageien zu halten. Er zeugt ebenso wie der Geisterreiter aus Blechschrott vom Geschick und Erfindungsreichtum der Saarländer.

Man könnte glauben, dass Gunter Altenkirch sich inmitten  all seiner Schätze wie im Paradies fühlt. Doch er sorgt sich um die Zukunft seiner Sammlungen. Der Museumsverband habe sein Museum auf die rote Liste der gefährdeten Museen im Saarland gesetzt, sagt er. Dem Landesarchiv hat er seine Schätze angeboten. Doch dort habe man abgelehnt, mit dem Hinweis auf fehlenden Platz.

Für sein neuestes Projekt mangelt es daran nicht. Zusammen mit der saarländischen Kulturzeitschrift Sonah bringt er jeden zweiten Mittwoch im Monat einen Beitrag zu einem Mundartwort und dessen Ursprung heraus. Gerade drehte es sich um „verstobbele“, also verstecken. Das hat er erklärt. Sein Motto ist es nicht. Das lautet: zeigen!

Serie über die Museen im Saarland: Teil 1: Interview mit Meinrad Maria Grewenig, Generaldirektor des Weltkulturerbes Völkliner Hütte und Präsident des Saarländischen Museumsverbandes (6. Juni), Teil 2: Die Moderne Galerie des Saarlandmuseums (13.Juni), Teil 3: Ludwig-Galerie Saarlouis (20. Juni) Teil 4:; Das St,. Wendeler Museum im Mia Münster Haus (27. Juni), Teil 5: Uhrenmuseum in Köllerbach (4. Juli), Teil 6: Historisches Museum Saarbrücken (11.Juli), Teil 7: Römermuseum Schwarzenacker (18.Juli), Teil 8: Museum für Vor- und Frühgeschichte in Saarbrücken (25. Juli), Teil 9: Zeitungsmuseum Wadgassen (1. August), Teil 10: Museum für dörfliche Alltagskultur in Rubenheim, Teil 11: Römische Villa Borg, 14./15. August.

 Kinderspielzeug: ein schaukelnder  Papagei aus Sperrholz.

Kinderspielzeug: ein schaukelnder  Papagei aus Sperrholz.

Foto: Robby Lorenz
Rubenheim: „Man muss mit de Leid schwätze“
Foto: Robby Lorenz
 Im einstigen Stall seines Bauernhauses (rechts) hat Gunter Altenkirch sein Museum untergebracht. Das Rehkitz aus Wachstuch (links) hat seine Schwiegermutter genäht.

Im einstigen Stall seines Bauernhauses (rechts) hat Gunter Altenkirch sein Museum untergebracht. Das Rehkitz aus Wachstuch (links) hat seine Schwiegermutter genäht.

Foto: Robby Lorenz
  Das Hufeisen gilt als Glückssymbol. Es wirkt aber nur in der richtigen Position: mit der Öffnung nach unten. Foto: Lorenz

Das Hufeisen gilt als Glückssymbol. Es wirkt aber nur in der richtigen Position: mit der Öffnung nach unten. Foto: Lorenz

Foto: Robby Lorenz
 Ein Geisterreiter aus Blechschrott gefertigt.

Ein Geisterreiter aus Blechschrott gefertigt.

Foto: Robby Lorenz
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