"Alte Leute quälen sich den Berg rauf"

Malstatt. "Wer will denn hier schon einen Laden eröffnen?", beklagt Gerhard Bleyer, 51, die Nahversorgungssituation in der Lebacher Straße im oberen Malstatt. Friseure, Metzger und Lebensmittelläden haben in unmittelbarer Nähe seiner Wohnung bereits vor einigen Jahren geschlossen

 Marianne Krämer kann nur noch einkaufen, wenn ihre Tochter sie fährt. Läden in ihrer Nähe gibt es nicht mehr. Foto: Iris Maurer

Marianne Krämer kann nur noch einkaufen, wenn ihre Tochter sie fährt. Läden in ihrer Nähe gibt es nicht mehr. Foto: Iris Maurer

Malstatt. "Wer will denn hier schon einen Laden eröffnen?", beklagt Gerhard Bleyer, 51, die Nahversorgungssituation in der Lebacher Straße im oberen Malstatt. Friseure, Metzger und Lebensmittelläden haben in unmittelbarer Nähe seiner Wohnung bereits vor einigen Jahren geschlossen.Der Strukturwandel habe bereits vor 15 bis 20 Jahren eingesetzt, doch damals waren die kleinen Geschäfte in den Nebenstraßen der Lebacher Straße betroffen: "Aber jetzt geht das Geschäftesterben in der Lebacher Straße weiter", sagt Werner Lorscheider vom Zukunftsbüro Molschd e.V. (ZAM). Bäcker am Pariser Platz, Aldi und Lidl in der Lebacher Straße - die zu Fuß zu erreichen waren - sind längst geschlossen. Ladenzeilen stehen leer, und Billigläden haben sich angesiedelt. Im Carré-Einkaufszentrum am Rastpfuhl, wo vor zwei Jahren rund 2000 Quadratmeter neue Einkaufsfläche entstanden sind, gibt es mehrere Supermärkte. Für Lorscheider ist das Center zwar eine Bereicherung für das direkte Umfeld, jedoch verlagere sich dadurch das Zentrum des oberen Malstatts immer mehr vom Pariser Platz weg. Auch sei das Einkaufszentrum für manche Malstatter schwer zu erreichen, weil sie kein Auto haben oder die Fahrt mit der Saarbahn für sie zu teuer ist. Aber für Arno Deubel vom Stadtplanungsamt ist Malstatt "ein Musterbeispiel" der Nahversorgung: Rein rechnerisch bestehe kein Versorgungsmangel, das Einkaufszentrum sei gut integriert. Aber Deubel räumt ein: "Der Strukturwandel im Einzelhandel ist ein Dilemma, gerade für ältere Leute ist es schwer." Die Stadt unterstütze, erklärt Deubel, indem sie dafür sorge, dass die Einkaufszentren nicht auf der "grünen Wiese" gebaut werden.

Einige Hundert Meter von Bleyers Wohnung entfernt liegt der Edeka-Aktiv-Markt, in den überwiegend ältere Menschen kommen. "Viele von ihnen fühlen sich im Einkaufszentrum nicht wohl, weil es ihnen zu groß ist. Hierher kommen sie auch für ein Schwätzchen", erzählt der Geschäftsführer Josef Fuchs. Hier kauft auch die 83-jährige Marianne Krämer gerne, eine Nachbarin von Gerhard Bleyer. Aber dazu muss ihre Tochter sie mit dem Auto hinbringen - und die hat nur einmal die Woche Zeit. Zu Fuß erreicht Krämer allein den Discount-Supermarkt. "Aber da gibt es keine frische Wurst, sondern nur Abgepacktes", sagt die Rentnerin.

Frank Schmitz vom Stadtteilbüro Malstatt verfolgt die Entwicklung im oberen Malstatt aufmerksam, für ihn ist das Viertel ein "schwieriges Umfeld mit geringer Kaufkraft", denn viele Bewohner würden von Rente oder von Hartz-IV leben. Heike Neu, Sozialpädagogin im ZAM, bewertet die Grundversorgung zwischen dem Cottbuser und Pariser Platz als "nicht so gut". Neu: "Für ältere Leute ist es auf Dauer nicht einfach, sich selbst gut zu versorgen." Der in der Lebacher Straße zu Fuß erreichbare Billig-Supermarkt sei "nicht jedermanns Sache". Und die Fahrt mit der Saarbahn zum Rastpfuhler Einkaufszentrum werde zur Geldfrage, doch gesprochen werde darüber kaum.

"Die jetzige Seniorengeneration leidet unter verschämter Armut", sagt die Sozialpädagogin. Mit Einzelfahrkarten kostet die Fahrt in die Carré-Supermärkte hin und zurück 3,60 Euro. Für ältere Leute sei das fast schon der halbe Einkauf, deshalb kennt Werner Lorscheider vom ZAM viele Senioren, die sich "die Lebacher Straße bergauf quälen".

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