Neuer Theaterclub in St. Arnual Kinder vom Wackenberg lieben das Theater

Saarbrücken · Gemeinsames Projekt des Theaters Überzwerg und der Pädagogisch-Sozialen Aktionsgemeinschaft im Stadtteil St. Arnual trägt Früchte.

 Das Ballspiel ist eine wichtige Übung und dient der Konzentration und Gruppendynamik.

Das Ballspiel ist eine wichtige Übung und dient der Konzentration und Gruppendynamik.

Foto: KERSTIN KRAEMER

Ein Kiez-eigener Theater-Jugendclub? Ein solches Langzeitprojekt hat in mehrfacher Hinsicht so viele positive Auswirkungen, dass man sich fragt, warum es nicht schon längst existiert. Die Offene Kinder- und Jugendarbeit der Pädagogisch-Sozialen Aktionsgemeinschaft (Pädsak) und das Überzwerg- Theater am Kästnerplatz (ÜZ) in St. Arnual machen jetzt gemeinsame Sache: Mit dem „Theaterclub Pädsak“ bieten die beiden Institutionen erstmals kontinuierliche Theaterarbeit speziell für Jugendliche vom Wackenberg an. Bereits vor einigen Jahren wollte Lena Loew, Sozialarbeiterin der Pädsak, das ÜZ als Kooperationspartner für ein Förderprojekt im Rahmen der Bundesinitiative „Kultur macht stark“ gewinnen. Damals hatten die Überzwerge keine Kapazitäten frei, doch bei der neuen künstlerischen Leiterin Stephanie Rolser rannte Loew mit ihrer Idee gleich offene Türen ein. Und so haben sich seit Herbst vergangenen Jahres insgesamt neun Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 11 und 17 Jahren einmal pro Woche für zweieinhalb Stunden getroffen, um mit Loew und der Theaterpädagogin Felicitas Becher schauspielerische Grundlagen zu erlernen.

Sie wagen sich sogar schon an eine Aufführung: „Mut“ heißt bezeichnenderweise die Collage aus Szenen, die von den Teilnehmern teils selbst geschrieben und aus der Improvisation heraus erarbeitet wurden. Ein Stück Selbstüberwindung werden sie bei der Premiere wohl auch brauchen, selbst wenn sie sich am Sonntag zunächst nur einem kleinen Publikum stellen – das Debüt im ÜZ ist nicht öffentlich. Mut war ein Thema, bei dem sich trotz des beträchtlichen Altersunterschieds alle treffen konnten. Der stelle aber ansonsten kein Problem dar, betont Becher. Denn erstens kennen sich die Jugendlichen ohnehin schon alle durch die Pädsak. Und zweitens gehe es ja gerade darum, „aus den Menschen, die da sind, eine Gruppe zu formen“.

Geprobt wird normalerweise in den Räumen der Pädsak, manchmal auf der Probenbühne des Überzwerg, und sogar in die Kirche St. Pius durfte der Club schon ausweichen: Dort konnte auch im Winter der sichere Corona-Abstand eingehalten werden. „Wir haben beide davon geschwärmt, einen eigenen Stadtteil-Theaterclub zu haben“, berichtet Becher, ganz Feuer und Flamme für das Projekt. Denn hier kann sie Theaterpädagogik machen, wie es ihrem Ideal entspricht: „Ich liebe es, Menschen aufblühen zu sehen!“, sagt sie strahlend und beruft sich auf den brasilianischen Theatertheoretiker Augusto Boal. Zitat: „Wir müssen alle Theater machen, um herauszufinden, wer wir sind und wer wir werden könnten.“ Dass diese Behauptung in der Praxis tatsächlich funktioniert, können Loew und Becher lebhaft bestätigen. Beide schildern, wie aus schüchternen Mäuschen plötzlich selbstbewusste Persönlichkeiten werden. Loew: „Die Jugendlichen haben gelernt, Spannung zu halten, Präsenz und Selbstwirksamkeit zu entwickeln.“ Und noch nie, beteuert sie, habe sie ein Projekt gehabt, wo „die Kids“ so wenig gefehlt hätten – tatsächlich ist sie ganz gerührt vor Stolz auf das Durchhaltevermögen ihrer Schäfchen: „Ich bin extrem begeistert von der Theaterpädagogik!“

 Sozialarbeiterin Lena Loew (links) und Theaterpädagogin Felicitas Becher (rechts) tauschen sich bei der Besprechung vor der Probe aus.

Sozialarbeiterin Lena Loew (links) und Theaterpädagogin Felicitas Becher (rechts) tauschen sich bei der Besprechung vor der Probe aus.

Foto: Kerstin Krämer

Umgekehrt weiß auch Becher die Vorteile dieser arbeitsübergreifenden Kooperation zu schätzen. Denn die Jugendlichen vom Wackenberg kommen aus eher bildungsfernen Familien und bringen diverse Probleme mit; da habe Loew als Sozialarbeiterin ganz andere Kompetenzen und Erfahrungen, um schwierige Situationen aufzufangen. Die Betreffenden wären wohl auch kaum auf die Idee gekommen, privat, also außerhalb eines schulischen Theaterbesuchs, ins Theater zu gehen, geschweige denn sich in einem der regulären Clubs anzumelden. Diese Hemmschwellen und Berührungsängste sind nun weg, seit die Jugendlichen im ÜZ gemeinsam Aufführungen besucht haben und in „ihrem Theater“ hinter die Kulissen gucken durften. „Die sind jetzt bei uns sehr zuhause“, sagt Becher. Vor allem ist sie ganz fasziniert, welches dramaturgische Gespür die Jugendlichen binnen kurzer Zeit entwickelt hätten: Wie selbstverständlich hätten sie Sachen aus den ÜZ-Inszenierungen übernommen und in abstrakter Form in ihre eigene Collage eingebaut, erzählt sie verblüfft. Ein Mädchen habe sich zu Recherchezwecken sogar in der Stadtbibliothek angemeldet. Bei soviel Nachhaltigkeit versteht es sich von selbst, dass Loew und Becher wild entschlossen sagen: „Wir machen weiter!“ Es sind sogar noch Plätze frei. Und als Bonus haben alle Pädsak-Clubmitglieder im Überzwerg freien Eintritt.

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