Kerstin Höckel im Porträt Ein gutes Leben zwischen Wald und Berlin

Saarbrücken/Berlin · Kerstin Höckel ist eine vielseitige und erfolgreiche Autorin. Sie schreibt zum Beispiel für Erfolgs-Fernsehserien wie „In aller Freundschaft“. Ursprünglich war die gebürtige Saarbrückerin Schauspielerin, hat hier am Staatstheater gespielt. Heute hat sie andere gute Gründe, gern ins Saarland zu kommen.

 Kerstin Höckel vor ihrer alten Wirkungsstätte, dem Staatstheater. Das Theater machte auch bei ihrer #aufstehen-Kampagne mit.

Kerstin Höckel vor ihrer alten Wirkungsstätte, dem Staatstheater. Das Theater machte auch bei ihrer #aufstehen-Kampagne mit.

Foto: Höckel

Sie ist Autorin, Filmemacherin, Produzentin – und eigentlich ist sie auch Schauspielerin: Kerstin Höckel, 1972 in Saarbrücken geboren, machte außerhalb des Saarlands Karriere. An der Ernst-Busch-Akademie in Berlin studierte die bekennende Wasserratte Schauspiel, gewann sogar den Solopreis der Schauspielschulen und spielte drei Jahre lang für Theater und Fernsehen, um relativ rasch zu merken, dass sie lieber hinter als vor den Kulissen agiert.

„Mir fällt es extrem schwer, mir sagen zu lassen, was ich tun soll“, erklärt Höckel: „Da stehe ich mir die Hälfte der Zeit selbst im Weg wie ein sturer Bock. Wiederholung ist auch nicht so mein Ding, und Auswendiglernen fand ich schon in der Schule superlästig. Ich gehöre wohl eher hinter die Kamera. Es war befreiend, das zu begreifen!“

Um die Jahrtausendwende begann sie, Prosa zu schreiben und Independent-Filme zu drehen. Ihre ersten Kurzfilme waren Digital-Experimente, die sie mit befreundeten Kolleginnen und Kollegen selbst produzierte. Bald wurde sie als Autorin und Regisseurin für weitere Projekte engagiert und verbuchte erste Erfolge: Ihr Kurzfilm „Piroggi“ (Buch und Regie, 2009) sowie „Hoffnung für Kummerow“ (Regie: Jan Ruzicka, 2008) liefen auf dem Max Ophüls Filmfestival, ihre ZDF-Kurzfilmballade „Der Zauberlehrling“ (2010) gewann beim Berliner Poetry Film Festival den Publikumspreis.

 Lange ist es her: Kerstin Höckel spielte 1999 die Pipi Langstrumpf am Staatstheater, hier mit Lothar Bobbe und Marcel Bausch.

Lange ist es her: Kerstin Höckel spielte 1999 die Pipi Langstrumpf am Staatstheater, hier mit Lothar Bobbe und Marcel Bausch.

Foto: Bettina Stöß

Seither schrieb Höckel weitere Drehbücher für TV-Filme sowie Episoden für diverse Serien und Reihen wie „Polizeiruf“, „Tierärztin Dr. Mertens“ oder „In aller Freundschaft“. 2007 veröffentlichte sie dann mit „Schalom Schwesterherz“ ihren ersten Roman bei Piper – drei weitere im Fischer Verlag folgten. 2014 krempelte Höckel ihr Leben erneut um und gründete mit der Autorin und Schauspielerin Marita Nienstedt die Schreibwerkstatt und Filmproduktionsfirma „Geist&Blitze“.

Gemeinsam mit Nienstedt Geschichten zu entwickeln sei jedes Mal „ein Blitzgewitter“, sagt Höckel. „Zur Zeit arbeiten wir getrennt an verschiedenen Projekten. Das hat sich so ergeben, weil eine von uns immer schon eingebunden war. Aber die Verbundenheit ist trotzdem da.“ 2016 feierte dann ihre moderne Interpretation von Schillers Ballade „Die Bürgschaft“ als Flüchtlingsdrama Weltpremiere beim Ophüls-Preis und gewann zahlreiche internationale Preise.

Wie hat die Exil-Saarländerin die Corona-Zeit erlebt? Höckel: „Für Autorinnen bedeutet Homeoffice ja keine große Umstellung. Ich arbeite gerne von zu Hause aus. Aber dass mein Sohn plötzlich 24 Stunden am Tag an sieben Tagen pro Woche um mich herum springt, das hatten wir sonst nur in den Ferien. Ich bin gleich im ersten Lockdown mit ihm aufs Land gezogen. Dort konnten wir den Wahnsinn auch mal völlig vergessen und der Natur beim Frühlingserwachen zuschauen. Traurig war, Treffen mit Freunden abzusagen, die Großeltern nicht zu besuchen. Gerade in so einer verrückten Zeit möchte man seinen Lieben ja nah sein. Eine innere Zerreißprobe – alles fühlt sich plötzlich zerbrechlich an.“

 Über 20 Jahre ist es her, dass Kerstin Höckel gemeinsam mit Christian Koerner am Staatstheater im „Mephisto“ spielte.

Über 20 Jahre ist es her, dass Kerstin Höckel gemeinsam mit Christian Koerner am Staatstheater im „Mephisto“ spielte.

Foto: Thomas Maximilian Jauk

Glück im Unglück war, dass das ZDF ausnahmsweise noch vor Ausstrahlung der ersten Staffel bereits die zweite Staffel der Serie „Fritzie – Der Himmel muss warten“ bei Höckel und ihren beiden Co-Autorinnen in Auftrag gegeben hatte. „Wir drei hatten die ganze Zeit einen sicheren Job“, sagt Höckel: „Luxus pur! Dafür bin ich sehr dankbar.“

Der Kontrast zwischen Auftragswerken und Herzensprojekten habe sich mittlerweile nahezu verflüchtigt.  „Ich behaupte mal größenwahnsinnig, dass ich nur noch Lieblingsprojekte angehe“, erklärt Höckel: „Darunter fallen mittlerweile auch die TV-Jobs.“ Die „Fritzie“-Serie etwa sei eine Auftragsarbeit gewesen, aber als Head-Autorin habe sie die letzten zwei Jahre als eine „extrem bereichernde und wilde Zeit“ erlebt, „voller Herzblut, Übermut und Sinnflut“. Natürlich auch als „kolossal anstrengend“, weil man sich bei Herzensangelegenheiten ohnehin leicht verausgabe.

„Aber es lohnt sich“, meint Höckel: „Die Balance im jeweiligen Prozess zu finden – das ist der Plan. Ohne Herz funktioniere ich als Kreative sowieso nicht.“ Zu ihren Lieblingen gehören auch „aussterbende Balladen“: „Der Zauberlehrling, die Bürgschaft und andere Balladen der Weimarer Klassik: Das ist großes Drama auf engstem Raum“, meint Höckel.

  Für „Fritzie – der Himmel muss warten“ (mit  Tanja Wedhorn) hat Kerstin Höckel als Hauptautorin das Drehbuch verfasst.

Für „Fritzie – der Himmel muss warten“ (mit  Tanja Wedhorn) hat Kerstin Höckel als Hauptautorin das Drehbuch verfasst.

Foto: ZDF/Britta Krehl

„Ich habe eine Schwäche für Poesie. Mittlerweile schmuggele ich eine Prise davon in alle Projekte. So kommt es, dass bei Fritzie immer mal wieder Ameisen durchs Bild krabbeln, Misteln sich im Wind wiegen oder eine Gummiweltkugel zerknautscht wird.“

Parallel verbindet Höckel mit ihren Projekten auch ein gesellschaftliches Engagement: „Den Traum, die Welt eine Spur besser zu machen, lasse ich mir nicht nehmen!“ So plane ihre Produktionsfirma „Geist&Blitze“ aktuell einen „Spot zur Rettung der Welt“ namens „Das stille Örtchen“. „Es fehlt nur noch ein Haufen Geld“, sagt Höckel: „Wer uns unterstützen will, darf sich gerne melden – Weltrettung ist Teamwork!“

Dass es eine „ungeheure Kraft“ entwickeln kann, wenn Leute sich gemeinsam für eine Sache einsetzen, hat sie bei der Initiative „Kontrakt 18“ erlebt. Höckel: „Über 200 Autorinnen und Autoren haben sich zusammengeschlossen, um für fairere Bedingungen des Drehbuchschreibens zu sorgen. Das gab wundervoll Wirbel in der Branche und bei Vertragsverhandlungen. Mit wilder Entschlossenheit lässt sich durchaus etwas verändern.“

Und bei der Kampagne „#aufstehen in Solidarität mit Geflüchteten“, die „Geist&Blitze“ im Frühjahr 2015 im Vorfeld der Dreharbeiten zum Kurzfilm „Die Bürgschaft“ ins Leben gerufen hatte, fand sie es „verblüffend, wie viele Menschen uns ehrenamtlich helfen und Gesicht zeigen wollten. Auch Prominente wie Olaf Schubert, Claudia Cardinale, Ulrike Frank oder Benno Fürmann ließen sich leicht begeistern“. Die Botschaft der Kampagne sei im Grunde heute noch genauso aktuell wie vor fünf Jahren, meint Höckel: „Vor lauter Corona gerät das bloß aus dem Blickfeld.“

Zukunftspläne für einen neuen Roman? Höckel: „Die gibt es, aber da ist noch nichts spruchreif.“ Gleichzeitig möchte sie endlich bei ihrem ersten Langfilm Regie führen. „Das rückt näher“, verkündet Höckel zuversichtlich.

Heute lebt sie abwechselnd in Berlin und auf dem Land. „Das Häuschen steht am Waldrand“, erzählt sie, „im Winter ist es dort vollkommen still. Ab und zu schauen Hirsche vorbei. Oder ein Kranich, der den Zug nach Süden verpasst hat. Der Himmel ist weit und bunt“. Landschaftlich könne das Berliner Umland mit dem „lieblichen Saarland“ natürlich nicht mithalten. „Die Nähe zu Frankreich fehlt mir hier auch“, bekennt Kerstin Höckel. „Mindestens zweimal im Jahr sind wir zu Besuch in der Heimat. Ich treffe alle meine Freundinnen, mache mit meinem alten Herrn große Gänge bis rauf zum Woll in Spicheren und lasse mich von meiner Mutter zum Gemüse schälen in der Küche abkommandieren. Mamas Doppeldeckerkartoffelpuffer mit Apfelmus sind ein Gedicht!“
www.geistundblitze.de
www.stillesoertchen-film.com

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort