Diskussion mit den Wahlkandidaten Kandidaten müssen Rede und Antwort stehen

St. Arnual · Barrierefreiheit bleibt ein wichtiges Anliegen aller Gehbehinderten. Aber wie wollen die Bundestagskandidaten sie umsetzen?

 Exakt eine Woche vor der Bundestagswahl hat der Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter (BSK) im Kulturbiergarten am St. Arnualer Saarufer den Saarbrücker Bundestagskandidaten auf den Zahn gefühlt, was deren Politik hinsichtlich der Probleme und Sorgen von Menschen mit Behinderung angeht. Der BSK versteht sich als Lobby für mindestens 7,6 Millionen in Deutschland lebende Menschen mit schwerer körperlicher Behinderung und deshalb war der politische Frühschoppen an der Saar via Internet fast in Echtzeit überall auf der Welt zu beobachten. Laut der Saarbrücker Behindertenbeauftragten Dunja Fuhrmann, neben BSK-Pressesprecher Peter Reichert Moderatorin der Veranstaltung, rechnete der Bundesverband Selbsthilfe  mit rund vier Millionen Zuschauern im entsprechenden „Stream“. Vier Prozent der Menschen, so berichtete Fuhrmann, müssten von Geburt an mit körperlichen Gebrechen leben, der Rest erst nach Unfall oder Krankheit. Im Saarland seien rund 160 000 Personen mit Gehbehinderung erfasst.

 Die Barrierefreiheit als großes aber nicht einziges Thema, das dokumentierten die Veranstalter zunächst mit Fotos von allerhand Hindernissen im öffentlichen Raum. Treppen vor Apotheken, Pflastersteine auf öffentlichen Plätzen, Bankautomaten mit zu hohen Be­dienfeldern und Bildschirmen, und vieles mehr. Und einer fiesen Frage für die Podiumsteilnehmer Josephine Ortleb (SPD), Bernd Wegner (CDU), Thomas Lutze (Die Linke), Markus Tressel (Bündnis 90/Die Grüne), Roland König (FDP)  und Dieter Müller (AfD) zur Barrierefreiheit. Reichert: „Was glauben Sie, bis zu welcher Höhe kann ein Rollstuhlfahrer eine Stufe problemlos ohne fremde Hilfe bewältigen: zwei, fünf oder sieben Zentimeter?“ Reichert scharf: „Jede Stufe bedeutet eine Diskriminierung von Gehbehinderten.“ Die beiden machten auch klar, dass sie hohe Maßstäbe in Sachen Gleichberechtigung setzen.

Nur zwei Rollstuhlplätze pro Zug seien viel zu wenig, wie Fuhrmann bitter feststellte. Sich vorher telefonisch anmelden müssen, damit einem ein Mitarbeiter in ein öffentliches Gebäude oder auf einen Bahnsteig helfen kann? Barrierefrei geht anders, meint sie. Im Lokal die Jacke anziehen zu müssen, weil zwar der eigentliche Gastraum aber nicht die Toiletten barrierefrei zugänglich sind, um dann außerhalb eine öffentliche, barrierefreie Toilette aufzusuchen? Oder das: In einen gesonderten Bereich abgeschoben zu werden, den Partner zur Betreuungsperson degradiert irgendwo dahinter, getrennt von den Freunden und Bekannten?

Schnell zeigte sich so, dass es mit Rampen und anderen baulichen Maßnahmen noch lange nicht getan ist. Die direkten Fragen an die Bundestagskandidaten waren seitens der Moderatoren sehr ausführlich ausformuliert. Zu erfahren war, dass Christdemokrat Wegner als Handwerksmeister im Bereich orthopädische Schusterei Barrierefreiheit immer wieder nachweisen müsse, um mit den Krankenkassen abrechnen zu können. Als Politiker wünscht er sich diese Vorgaben auch  für Apotheken und Ärzte. Sozialdemokratin Josephine Ortleb stellte zunächst einmal fest, dass sie den im Rahmen von vielen baulichen Kompromissen entstandenen Begriff „barrierearm“ für unmöglich hält. Sie plädierte dafür, die gesetzlichen Vorgaben zumindest in den Kommunen einzuhalten, stellte aber auch die Frage: „Reichen die  Förderprogramme dazu aus?“ Der Grüne Tressel meint: „Es darf sich nicht nur darauf beschränken: Wie komme ich da rein?“ Neben öffentlichen Gebäuden gelte es auch barrierefreien Wohnraum zu schaffen. König fordert: „Bus und Bahn müssen grundsätzlich barrierefrei sein.“ Und Müller will die Teilhabe in allen Lebensbereichen fördern. Thomas Lutze mahnte an: „Was Recht ist muss auch einklagbar sein.“

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