Postkasten in Saarbrücken Die Bücher-Guerilla hat zugeschlagen

Saarbrücken · In einen alten, aufgebrochenen Postkasten in Saarbrücken sind auf wundersame Weise Sachbücher und Romane eingezogen.

 Zusammen mit seinem Freund pflegt der selbsternannte Bücher-Guerillero den besetzten Kasten in der Heinrich-Böcking-Straße.

Zusammen mit seinem Freund pflegt der selbsternannte Bücher-Guerillero den besetzten Kasten in der Heinrich-Böcking-Straße.

Foto: Rich Serra

Als könnte er kein Wässerchen trüben, lehnt er an seinem Fahrrad neben dem, was er angestellt hat, und kämpft mit Leinenklamotten und Sonnenbrille gegen die Mittagshitze, ohne dass es danach aussieht. Ein Foodtruck wartet in seinem Rücken auf die Pausenmacher von der VSE, auf einem Grünstreifen liegt ein fettes schwarzes Stromkabel wie eine tote Schlange schon seit Jahren herum, einen Block weiter parkt ein Auto mit dem Kennzeichen „B-RD“. Ob er weiß, dass hundert Meter schräg gegenüber auf einer niedrigen Mauer vor einem Haus der Roman „Die amerikanische Prinzessin“ von Annejet van der Zijl verlassen auf dem Rücken liegt? Wollen wir es ihm verheimlichen? Nur so zum Spaß?

„Schreiben Sie doch: Der Name ist der Redaktion bekannt.“ Denn alles, das länger ist als Walter Weh aus Es-Beh, sollte vielleicht nicht in der Zeitung landen. Ein Foto geht aber, sagt der Bücher-Guerillero. Dann zeigt er auf das winzige Schild so lange, bis man es findet, das dabei helfen soll, auf seine Guerilla-Aktion aufmerksam zu machen. „Leseecke“ steht darauf und hatte 15 Euro gekostet. Zusammen mit seinem Freund Peter Teh aus Hah hat Walter Weh aus Es-Beh in der Heinrich-Böcking-Straße einen alten Kasten besetzt, den damals schon die Post genutzt hatte, um Literatur zwischenzulagern –  Boxen mit Briefen für den Briefträger. Die Kastentür war schon eine Zeit lang aufgebrochen und das Ding leer. Dann kam die Guerilla. Am Abend des 9. Juli hat Walter Weh um den Kasten herum gefegt, ihn auf Knien feucht ausgewischt und einen Berg an Büchern hineingestellt. Er ist sogar rüber zum „Schnickschnack“-Flohmarkt in der Lessingstraße gelaufen und hat welche gekauft. „Götter, Gräber und Gelehrte“ steht immer noch drin, andere sind inzwischen verschwunden. „Die lustigen Taschenbücher gehen weg wie warme Semmeln“, sagt er. Denn wer will, kann sich, wie bei der Bücherzelle des Regionalverbandes am Schloss, eins rausgreifen und mitnehmen oder ein anderes dazustellen. Oder beides. Ständig und ohne Unterlass, den ganzen Urlaub über, tagein tagaus. Nebenan bei der Stromtankstelle Strom tanken, aus der Box Jack Kerouacs „On the road“ lesen und danach mit seinem Hybrid-Honda über die Mainzer in die Freiheit rauschen. In die Freiheit, Herr Weh! „Lesen erweitert die mentale Reichweite“, sagt der Guerillero, der einst Kunstgeschichte studiert hatte und bald 64 Jahre wird.

Die Leidenschaft für die Bücher und den Guerilla-Kasten, dieses Brennen, hat ihm inzwischen schon 280 Euro aus der Tasche gezogen. 15 hatte das Schild gekostet, 200 hat ein Absolvent der HBK in Es-Beh bekommen, der den Kasten bemalt hat. Jetzt sollen die Dinge ihren Lauf nehmen, „Open Book Contest“ nennen Walter Weh und Peter Teh es sogar im Sinne davon, dass sich andere beteiligen und den Kasten pflegen. Das wäre ja mal was. Walter Weh selbst lässt jetzt sogar extra eine Plexiglastür anfertigen. Denn vor Unwettern hat der Guerillero ein bisschen Angst. Der Kasten ist an einer Stelle offen, und an dieser Stelle lassen die Einbände sogar Spritzwasser an sich heran.

 Ein kleines Schild soll die Leute auf die Leseecke in der Heinrich-Böcking-Straße aufmerksam machen.

Ein kleines Schild soll die Leute auf die Leseecke in der Heinrich-Böcking-Straße aufmerksam machen.

Aber ob da wirklich jemand hilft? Irgendwie passen Bücher und Saarbrücken manchmal nicht so zusammen. Vor wenigen Tagen hat schon der nächste Laden die Segel gestrichen. Da muss der Guerillero auch erst mal durchschnaufen und nachdenken. „Es gibt Inseln“, sagt er. Die Saarbrücker Rezitative ist so eine, an der er auch selbst teilnimmt. Sie ist ein Zusammenschluss von 15 Menschen, die sich einmal im Monat treffen und zu einem bestimmten Thema vorlesen, zum Beispiel „Mord“. Er selbst liest gerade Hanya Yanagiharas „Ein wenig Leben“ und „Im Herzen der Gewalt“ von Eduard Louis, von dem er schon ganz gespannt ist, was er schreibt, wenn er sein näheres Umfeld abgearbeitet hat – die Jugend, der schlimme Vorfall, bald der Vater – was kommt dann? Was wird dann von Louis im Kasten in der Heinrick-Böcking laden? Oder auf dem Blog Immerlesen.net rezensiert werden, auf den ominöserweise fast jedes Buch im Guerilla-Ex-Post-Bücherkasten im Einband verweist. Woher kommt das denn, Herr Weh? Der Guerillero kennt ihn – irgendwie. „Das ist eine Seite für Literaturfreunde, auf der etwas andere Bücher rezensiert werden, kein Mainstream“, sagt er und streckt die Hand aus. Jetzt muss er aber weg. Er klappt den Ständer von seinem Fahrrad hoch und fährt davon.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort