Besonderes Theater Dieses besondere saarländische „Grenzleben“

Saarbrücken · Ein außergewöhnliches Theatererlebnis nähert sich dem Leben der Elfriede Maas, die nichts Besonderes und doch besonders war.

 Theater ganz nah und echt saarländisch: Schauspieler Walter Schmuck erzählt den handverlesenen Zuschauerinnen in „Grenzleben“ das Leben der Elfriede Maas, der Großmutter der Schauspielerin und Regisseurin  Annalena Maas. Das Stück spielt in der Wohnung der Verstorbenen, und es dürfen jeweils nur wenige Zuschauer dazu.

Theater ganz nah und echt saarländisch: Schauspieler Walter Schmuck erzählt den handverlesenen Zuschauerinnen in „Grenzleben“ das Leben der Elfriede Maas, der Großmutter der Schauspielerin und Regisseurin  Annalena Maas. Das Stück spielt in der Wohnung der Verstorbenen, und es dürfen jeweils nur wenige Zuschauer dazu.

Foto: Iris Maria Maurer

Dienstag, früher Abend: Am Tor eines Genossenschaftshauses in Alt-Saarbrücken empfängt Nachlassverwalter Walter Schmuck eine Handvoll Menschen. In Hemd und Lackschuh, merklich aufgekratzt und um keinen schlechten Witz verlegen, begrüßt er die Anwesenden zu ihrer Schnupperstunde als Nachlassverwalter. Sie sollen ihm heute bei der Durchsicht einer der Wohnungen des Hauses helfen.

Die Bewohnerin, Elfriede Maas, sei schon vor zwei Jahren verstorben, erklärt er, während er in den ersten Stock führt. Hinter der Wohnungstür wirkt alles, wie eben erst verlassen: Bücher stapeln sich auf dem Wohnzimmertisch, die Kleider liegen achtlos über eine Stuhllehne geworfen, eine Kassette steckt noch im Rekorder. Zwei, drei geschulte Blicke in Schubladen und Schränken verraten ihm, dass es hier außer ein paar Pelzmützen und Lederhandtaschen nichts zu holen gibt. Zumindest nicht im materiellen Sinne.

All die Erinnerungsstücke, Fotos, Briefe und Unterlagen, die über und über aus Schubladen und Schränken quellen, sind hingegen eine wahrliche historische Entdeckungsreise. Gäben genug Erzählstoff für ein Buch ab.

Weil Elfriede Maas’ Enkelin, die in Saarbrücken geborene und in München und Hamburg lebende Regisseurin Annalena Maas, aber keine Schriftstellerin, sondern Regisseurin ist, wurde daraus kein Roman, sondern ein Theaterstück. Bei dieser Wohnungsbegutachtung ist nämlich manches ganz und gar nicht und vieles ganz und gar wie es scheint.

Walter Schmuck heißt zwar wirklich Walter Schmuck, ist allerdings kein Nachlassverwalter, sondern Schauspieler. Auch den Beruf des Nachlassverwalters will hier niemand kennenlernen. Alle sind sie Gäste dieser „immersiven Theater­installation“, wie Annalena Maas es nennt.

Immersives Theater ist eine Sonderform des Theaters, bei der die Trennung zwischen Bühne und Publikum aufgehoben wird. Zuschauer bewegen sich dabei in die Handlung eingebettet durch einen mit einer Geschichte aufgeladenen Raum – ein Zimmer, ein Haus oder eben eine Wohnung.

Erfunden ist hier allerdings nichts: Denn Elfriede Maas gab es schließlich wirklich. Ihre Wohnung: Seit zwei Jahren unberührt.

„Schon lange, lange vor ihrem Tod hatte ich die Idee, ein Stück aus ihrem Leben zu machen“, erklärt Annalena Maas. Dass die Wohnung jetzt so lange leer stand, sei für sie ein glücklicher Umstand gewesen. „Mit Verlaub: Geschichten erzählen kann der Film heute viel besser als das Theater“, sagt Annalena Maas, „aber Atmosphären erlebbar zu machen, ist eine Riesenchance für das Theater“.

Ein Anspruch, der ihr mit „Grenzleben“ mehr als gelungen ist. In der Enge dieser Räume ist man gezwungen, sich in Elfriede Maas’ Geschichte regelrecht einzuspüren. Mit viel Witz und großer Geste lenkt Walter Schmuck die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf die Meilensteine dieses Lebens. Fotografien der kleinen Elfriede gemeinsam mit ihrer Familie etwa, zu Besuch auf einem Hof bei Kassel. Urlaub? „Keineswegs“, bemerkt Walter Schmuck, „das war 1942, das muss die zweite Evakuierung Saarbrückens gewesen sein“.

Auf dem Küchentisch liegen noch die alten saarländischen Personalausweise, ihr erster Arbeitsvertrag bei der „Saarbrücker Zeitung“ als Putzfrau. Im Wohnzimmerschrank: Annalena Maas’ altes Schulheft. Darin ein Aufsatz über Erinnerungen ihrer Großmutter, darüber, wie sie als Achtjährige ihrem Vater, dem Sozialdemokraten, half, Flüchtende aus Nazi-Deutschland über die Grenze nach Frankreich zu führen.

Bisweilen ist man amüsiert, nicht selten aber auch beklemmt, wenn man behutsam in dieses so typische Grenzleben jener Zeit vordringt. Diesem Menschen nahekommt, der einem gleichzeitig fremd ist und dessen Geschichte einem doch so bekannt vorkommt.

„Gerade diese Durchschnittlichkeit und dieses Kind seiner Zeit zu sein, hat mich wahnsinnig interessiert“, erklärt Annalena Maas. Erst mit viel Abstand zum Saarland habe sie die Region, ihre politischen und geschichtlichen Implikationen zu verstehen gelernt. „Ich erzähle hier keine Geschichte über ein Leben, sondern über eine Zeitspanne in dieser Region“, betont sie.

Noch bis Sonntag, 6. September, gibt es Gelegenheit, sich dieses einzigartige, erfrischende, mutige und ehrliche Schauspiel anzusehen. Ende September wird die Wohnung dann verkauft und das Kapitel „Grenzleben“ findet sein Ende.

 Erinnerungsstücke, die Geschichte erzählen. Auch die saarländischen Ausweise liegen noch in der Küchenschublade.

Erinnerungsstücke, die Geschichte erzählen. Auch die saarländischen Ausweise liegen noch in der Küchenschublade.

Foto: Iris Maria Maurer

Tickets und weitere Informationen unter: www.grenzleben.de

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