Interview „Es ist vieles untergegangen im gnadenlosen digitalen Fortschritt“

Saarbrücken · Ein Gespräch über Musik und über aktuelle Politik: „Die Geschichte wird hart mit den Demagogen ins Gericht gehen, aber dann wird es zu spät sein.“

 Auch wenn er für einen Spaß zu haben ist, Götz Widmann sieht die aktuelle Situation der Erde eher negativ.

Auch wenn er für einen Spaß zu haben ist, Götz Widmann sieht die aktuelle Situation der Erde eher negativ.

Foto: Fabia Widmann

Ein Dutzend tolldreiste Songs hat Götz Widmann geschrieben und veranstaltet damit sein ganz eigenes „Tohuwabohu“ – so der Titel seines brandneuen Albmus. Aus diesem musikalischen Durcheinander ist ein kurzweiliger, abwechslungsreicher und konsequent politischer Hörspaß entstanden, der kaum ein derzeit diskutiertes Thema auslässt. Von der Klimakatastrophe über Europa bis zu „Wir sind das Volk“ reicht der ambitionierte Songreigen mit bissigem Unterton. Daneben lässt der 54jährige aber auch etwas Wehmut und Nostalgie anklingen, wenn er in Songs wie „Auf Gestern warten“ oder „Maria“ von der Langsamkeit einer verloren gegangen analogen Welt träumt. Ein Gespräch mit dem Anarcho-Poete.

Herr Widmann, Ihr neues Album heißt „Tohuwabohu“. Wofür steht der Titel hier?

Götz Widmann: Der Begriff stammt ja aus der Schöpfungsgeschichte der Bibel: Am Anfang war die Erde wüst und leer.  Dieses „wüst und leer“ heißt im Original Tohuwabohu. Daraus hat Gott die Schöpfung erschaffen – Tohuwabohu ist also eigentlich die Energie, die allem zugrunde liegt.

Obwohl Sie live zumeist alleine unterwegs sind, haben Sie das neue Album wieder mit einer kompletten Band eingespielt – warum?

Götz Widmann: Mit einer Band zu touren, ist absoluter Wahnsinn, kostet Schlaf, Geld und vor allem Nerven. Ich finde Soloauftritte viel spontaner, man braucht kein festes Programm, kann komplett machen, was man will und direkt auf das Publikum reagieren. Das macht enormen Spaß und ist genau das, was eine Live-Performance so unersetzlich macht.

Aber wozu braucht es im Studio dann eine Band?

Götz Widmann: Wenn ich ein Album produziere, ist das für die Ewigkeit, und dann will ich die schönste Musik abliefern, die ich machen kann. Und da ich selber nur relativ mittelmäßig Gitarre und sonst nichts spiele, ist es wohl besser, wenn ich mir dabei von kompetenteren Menschen helfen lasse. Es war eine einzige Freude, dieses Album dabei entstehen zu hören.

Der erste Song heißt „Europa“. Plädieren Sie da tatsächlich für ein grenzenloses und gleiches Europa ohne Nationalstaaten?

Götz Widmann: Das fände ich die einzig richtige Richtung, in die man weitergehen sollte. Ich träume schon seit meiner Jugend von den Vereinigten Staaten von Europa. Ich bin jetzt Mitte 50 und habe noch nie einen Krieg erlebt. Das verdanken wir vor allem der europäischen Integration. Ich bin nicht mit allem einverstanden, wie Europa gemanagt wird, denn leider regiert hier viel zu sehr das Geld und die Interessen der Großkonzerne. Trotzdem ist die europäische Vereinigung eine phantastische Idee. Ich würde keine Sekunde zögern meinen deutschen Pass gegen einen EU-Pass zu tauschen. Ein Sieg der Vernunft, des Friedens und der Vielfalt wäre das.

Lauert da nicht die Gefahr eines schwer regierbaren riesigen Zentralstaates wie in den USA oder China?

Götz Widmann: Das undurchschaubare Gewirr von nationalen Egoismen, das bei uns jede vernünftige Entwicklung lähmt, ist doch viel schwerer regierbar. Weg mit den ganzen Nationen, wofür braucht man die noch, wenn man in einem so tollen Land wie Europa leben kann.

Wie sollte man dabei mit Europa-kritischen EU-Staaten wie derzeit Polen oder Ungarn umgehen?

Götz Widmann: Oh je, ich bin Träumer und kein Politiker. Wenn ich was zu sagen hätte, würde ich wahrscheinlich die Völker fragen, wer mitmachen möchte und mit denen anfangen, die sich dafür entscheiden. Die anderen kämen schon hinterher, wenn man es richtig machen würde.

Die Songs „Auf Gestern warten“ und „Maria“ klingen ein wenig nach früher war alles besser. Sind Sie etwa ein Nostalgiker?

Götz Widmann: Oh ja, ich bin ein großer Nostalgiker. Es sind viele Dinge untergegangen im gnadenlosen digitalen Fortschritt, die ich für lebenswert erachtet habe. Obwohl ich garantiert genauso abhängig von meinem Smartphone bin wie alle und die Vorteile meines MacBooks zu schätzen weiß, habe ich doch eine große Sehnsucht nach analoger Langsamkeit in mir. Gerade in den letzten Jahren hat die digitale Welt nicht nur Gutes in die Welt gebracht.

Was fehlt den heutigen modernen Clubs, Bars und Lounges?

Götz Widmann: Charakter und Unersetzbarkeit. Vielen heutigen Bars merkt man zu sehr an, dass sie nur zum Geld verdienen designt wurden. Alles dort ist dem Profit unterworfen. Vielleicht war das früher auch schon so, aber es hat sich nicht so krass danach angefühlt. Daher bin ich für ein Weltkulturerbe für Eckkneipen!

Zum Abschluss des Albums widmen Sie sich im gleichnamigen Lied noch der Klimakatastrophe. Was hat Sie dazu inspiriert?

Götz Widmann: Der Text stammt aus dem Jahr 2005, wir wussten es also damals schon. In den vergangenen 15 Jahren ist nichts passiert, und das Lied ist heute noch viel schreiender aktuell als damals. Ich musste den Text einfach recyceln. . .

Wird Ihrer Meinung nach genug gegen den Klimawandel getan?

Götz Widmann: Wenn wir diese Welt noch retten wollen, müssen wir langsam mal den Arsch hochkriegen. Wir sind wirklich wie einer, der vom Hochhaus gesprungen ist und im 3. Stock meint, dass bis jetzt doch alles erstaunlich gut gegangen ist. Der Spruch ist zwar nicht von mir, aber er stimmt einfach.

Sind die Politik und Gesellschaft in Europa überhaupt bereit dazu?

Götz Widmann: Ich glaube, dass eine Regierung, die eine einigermaßen vernünftige und konsequente Klimapolitk betreibt, gleich bei der nächsten Wahl wieder abgewählt wird, weil irgendwelche Demagogen den Menschen Lügen erzählen werden, um an die Macht zu kommen. Die Geschichte wird hart mit solchen Leuten ins Gericht gehen, aber dann wird es leider zu spät sein.

Götz Widmann gastiert am Freitag, 24. Januar, 20 Uhr, in Saarbrücken in der Garage.

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