Fred Woywode, Annemarie Neuhaus und Gabriele Bernstein spielen Ionescos „die Unterrichtsstunde“ „Der Mensch ist ein unberechenbares Wesen“

Saarbrücken · Der frühere Staatstheater-Schauspieler Fred Woywode inszeniert und spielt Eugène Ionescos Klassiker des absurden Theaters „Die  Unterrichtsstunde“.

 Probe im Theater im Viertel: Fred Woywode, Annemarie Neuhaus und Gabriele Bernstein (mit Brille).

Probe im Theater im Viertel: Fred Woywode, Annemarie Neuhaus und Gabriele Bernstein (mit Brille).

Foto: Kerstin Krämer

Welch grausame und zugleich burleske Farce! Ein naives Mädchen nimmt privat Nachhilfe bei einem betagten Professor, um sich „in allen Fakultäten gleichzeitig“ weiter zu bilden – und das Ganze endet mit einem sexuell aufgeladenen Mord.

Eugène Ionescos komisches Drama „Die Unterrichtsstunde“ (La leçon) gehört zu den Klassikern des Absurden Theaters. 1951 uraufgeführt, läuft das Stück bis heute in einer Endlosschleife im Pariser Théatre de la Huchette, im Paket mit Ionescos noch berühmterem Einakter „Die kahle Sängerin“ (La cantatrice chauve).

Was wurde in die Parabel über Folter und Perversion nicht alles hinein interpretiert! Literarisch deutete man „Die Unterrichtsstunde“ als Parodie auf das realistische Argumentationstheater, philosophisch als Sieg des Irrationalen über den Verstand, kulturkritisch als Satire auf Bildungsgeschwätz, politisch als Darstellung der Zerstörung des Schwächeren durch den Stärkeren – und psychologisch als exemplarischen Kampf der Geschlechter, wobei der Mord als imaginäre Vergewaltigung gelesen werden kann.

Nicht zuletzt wegen des geringen personellen Aufwands erfreut sich der Einakter nach wie vor großer Beliebtheit vor allem bei freien Theatertruppen. Dass die Tragikomödie aber nun in Saarbrücken binnen weniger Monate gleich von zwei Off-Ensembles auf den Spielplan gehievt wurde, das kam so: Die Schauspielerin Birgit Giokas wollte den Einakter aufführen und bat den Kollegen Fred Woywode, Regie zu führen. Woywode jedoch hatte eine völlig andere Auffassung von der Konzeption und nahm Abstand von der Inszenierung.

Giokas produzierte ohne ihn, doch Woywode hatte, wie er es ausdrückt, „Blut geleckt“ und kommt nun seinerseits mit einer Fassung heraus: Premiere ist am Freitag im Theater im Viertel.

Doch warum? Wer den ehemaligen Mimen des Saarländischen Staatstheaters mit der These provoziert, dass das Absurde Theater sich doch längst überlebt und das Stück uns nichts mehr zu sagen hätte, der erntet heftigen Widerspruch. „Es gibt gar kein Absurdes Theater“, wettert Woywode, „weil die ganze Welt absurd ist. Der Mensch ist ein unberechenbares Wesen!“ Und da die Absurdität des irdischen Daseins täglich zunehme, bleibe auch ein Stück wie „Die Unterrichtsstunde“ zeitlos gültig.

Dabei legt Woywode „großen Wert darauf, das Stück nicht zu verändern, es werkgetreu zu inszenieren“. In einem Punkt aber greift er ein: Woywode deutet die Figur der Schülerin um. Hier heischt kein dummes junges Hascherl den Professor um Hilfe an, sondern eine vom Leben Deformierte – eine gezeichnete ältere Frau, die endlich gesellschaftliche Anerkennung will.

Gaby Bernstein spielt sie unter anderem mit entstellender Brille. Zu spät merkt die Dame, dass sie es mit einem psychopathischen Schwätzer und Selbstdarsteller zu tun hat, „der sich an ihrer Unterlegenheit aufgeilt und sein Opfer meschugge quatscht, bis es schlachtreif ist“, formuliert Woywode drastisch.

Die Abfuhr der Leiche obliegt der Hausangestellten, die als Einzige alles im Griff hat – Annemarie Neuhaus gibt das Dienstmädchen mal als Kriminalbeamtin, mal als kommandofeste Entsorgungsfachfrau. Ob der Professor nun im Affekt handelt oder ob er ein berechnender Lustmörder ist, ein Serienkiller gar, wie Ionesco suggeriert, oder ob das Ganze nur ein Traum ist – das bleibt hier offen.

Klar ist lediglich, dass ein Erzkomödiant wie Woywode mit clownesker, ja zirzensischer Lust am Entertainment fuhrwerkt und Brüche einbaut, um doppelbödig Komisches frei zu kitzeln. Den Professor spielt er selbst und muss dabei Unmengen an Text bewältigen. Zwar fühlt sich Woywode, der sein Alter charmant auf „irgendwo zwischen 70 und 100“ taxiert, durchaus fit und will noch öfter auftreten. „Aber nach dieser Geschichte kann ich erst mal keinen weiteren Text mehr lernen“, sagt er lachend.

Ende Oktober kommt er daher mit einer szenischen Lesung zurück ins TiV: Dann steht er bei dem literarischen Streifzug „Heimatlos – irgendwo und nirgendwo“ mit seiner Frau, der Schauspielerin Thessy Eckel, und der Journalistin Katharina Fiedler auf der Bühne.

Premiere Freitag, 31. August, 19.30 Uhr, Theater im Viertel am Landwehrplatz. Zweiter Termin:  Samstag, 1. September, 19.30 Uhr. Karten: (06 81) 390 46 02. 
www.dastiv.de

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