„Meeting Point ( Heim)“ bei Primeurs - Start des Festivals in Forbach Unheimliches Heim im Elsass

Saarbrücken.Forbach · Es ist keineswegs alles easy in der „Traumbeziehung“ Deutschland-Frankreich. Eher gespenstisch. Aber warum? Dem ging as Eröffnungsstück für das diesjährige Primeurs-Festival für deutsch-französische Dramatik nach.

 Das Stück "Meeting Point (Heim)" von Dorothée Zumstein war im Le Carreau in Forbach zu sehen. Hier Christophe Brault (links) und Lucas Partensky.

Das Stück "Meeting Point (Heim)" von Dorothée Zumstein war im Le Carreau in Forbach zu sehen. Hier Christophe Brault (links) und Lucas Partensky.

Foto: Oliver Dietze

Mit bunt gestrichenen Fachwerkhäusern und den Geranien vorm Fenster präsentiert sich das Elsass heute Touristen als unbeschwert, höchstens ein wenig spießig. Doch hinter den Gardinen, im Innern der alten Häuser, lauern düstere Erinnerungen, Traumata, Verdrängtes aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, als das Elsass von Nazi-Deutschen besetzt war. So der Tenor von „Meeting Point ( Heim)“, dem Theaterstück, mit dem das Festival Primeurs für frankophone Dramatik am Mittwochabend vor rund 250 Zuschauern im Forbacher Theater Le Carreau eröffnete. Corona-Lockdowns verdankt sich, dass das Stück, das die Pariser Dramatikerin Dorothée Zumstein im Auftrag der Elsässer Regisseurin Catherine Umbdenstock verfasst hatte, nicht, wie geplant,  im koproduzierenden Colmar oder Straßburg seine Uraufführung feierte, sondern an der deutsch-lothringischen Grenze. Es bietet einen frischen Kontrapunkt zu den oft seichten deutsch-französischen Freundschaftsreden, die lieber nur nach vorn schauen. Und doch ist es zugleich auch ein Schreck für uns Deutsche.

Ja, all diese im Stück gezeigten Lasten säßen ihr noch in den Knochen, bestätigte die Mittdreißiger Regisseurin Umdendenstock im Publikumsgespräch. Sie und Autorin Zumstein mixen zum Glück genügend augenzwinkernde Heiterkeit in den schweren Stoff, können Pathos vermeiden.

Und darum geht’s: Schauspielerin Eva (Johanna Hess ) und Theaterregisseur Franck (Christophe Brault ), ein 68-er Paar, und ihr Sohn und Medizintudent Sebastian (Lucas Partensky), die einander seltsam fremd wirken, treffen sich im Haus der verstorbenen Großmutter, das der Sohn künftig bewohnen will. Peu à peu kommen die familiären Traumata hoch: Der kleine Claude, Sohn der Großmutter mit einem amerikanischen GI, der von Dorfkindern als „deutscher Hurensohn“ gelyncht wurde und dessen Seele noch im Fahrrad im Keller steckt.

Evas deutscher Vater, ein NS-Arzt, lässt sie allergisch auf ihre Muttersprache und Ärzte reagieren. Doch das sind nur zwei von vielen Altlasten, angefangen vom Zwangsrekrutierten Nachbarn, bis zu den jüdischen Leichen der NS-Experimente in der Straßburger Anatomie. Unterfüttert hat die germanophile Autorin die Dialoge dazu mit jeder Menge Referenzen an abgründige deutsche Dichtung von Goethes Faust bis zu den Grimm-Brüdern. Ein Fest für Exegeten, aber sie überladen auch das Stück mit Symbolik und tieferer Bedeutung.

In spiritistischen Sitzungen bringt Friederike (Pascale Schiller), eine junge Doktorandin, als rätselhafter Gast die Toten zum Sprechen und zum Lösen der Knoten. Mit dieser Prise Mystery, popmusicalartigen Einsprengseln und ironischen Kino-Anspielungen (köstlich: Eva als Möchtegern-Ursula-Andress aus „La dolce vita“) sorgt Regisseurin Umbdenstock für wohltuende Leichtigkeit.

Während die Eltern auch 20 Jahre später, im zweiten Teil, nur ums Vergangene kreisen, lenkt der pragmatische Sohn Sebastian den Blick auf aktuelle Problem wie die am Klimawandel sterbenden Bäume im Garten. Als Franck erfährt, dass die überm Ort kreisenden Hubschrauber die Covid-infizierte Eva in ein deutsches Krankenbett bringen sollen, fürchtet er um ihre Re-traumatisierung mehr als um ihr Leben. Damit gelingt nach zwei Stunden ein überraschendes, aber plausibles Ende mit aktuellstem Bezug. Das deutsche und französische Publikum applaudierte recht begeistert.

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