Kolumne Der Tag, als Hertha zurückschlug

Täglich miese Witze – das lässt sich eine tiefenentspannte ältere Dame nicht länger bieten. Ihr Konter ist trocken und eiskalt.

Ein Kantinenwitz nach dem anderen
Foto: SZ/Robby Lorenz

Die Welt ist hart, doch ich bin Hertha“, sagte die alte Dame in unserer Schulkantine immer. Ob sie wirklich Hertha hieß, wusste niemand so genau. Aber sicher ist: Sie sorgte mit ihrem Spruch für eine wahre Flut an fürchterlichen Wortwitzen unter den Lehrern. Es fing damit an, dass ihr ein pfiffiger Deutschlehrer eines Tages entgegnete: „Egal wie dicht du bist, Goethe war Dichter.“ Unsere Kunst-Lehrerin hörte das und ließ nicht lange auf sich warten. Sie kaufte sich ein Brötchen und sagte zu Hertha – oder wie auch immer sie hieß: „Ich bin dürr, doch Albrecht war Dürer.“ Unser Englisch-Lehrer beobachtete das Szenario. Am nächsten Tag schrieb er an die Tafel: „No matter how kind you are, German children are kinder.“ Er blickte zwar in ausschließlich fragende Schülergesichter, konnte die Freude über seinen eigenen Witz aber kaum unterdrücken. Jeder Pauker wollte noch einen draufsetzen. Der miese Wortwitz wurde zum bildungsbürgerlichen Statussymbol des Kollegiums. Selbst unser Musiklehrer, ein Mann spröde wie Gusseisen, sagte irgendwann in der Kantine voller Stolz: „Egal wie laut du Bach hörst, Heiner hört Lauterbach.“ Außer ihm lachte niemand. Er dafür besonders herzhaft. Das konnte nur noch der unwitzigste Mensch der Schule übertreffen: Wirtschaftslehre-Lehrer Herr Mühlberger. Eines Morgens sagte Hertha, oder wie auch immer sie hieß, wieder ihren Spruch. Herr Mühlberger zahlte und sagte: „Egal wie viele CDs du besitzt. Daimler besitzt Mercedes.“

Hertha fand das alles nicht lustig. Aber sie nahm‘s mit Humor. In ihrer entspannten Art klebte sie einen Aufkleber auf die Kantinen-Vitrine. Darauf stand: „Egal wie leer deine Flasche ist, viele Flaschen sind Lehrer.“

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