Kolumne Ein Haus ohne Dach

Ein Haus ohne Dach ist ein trauriger Anblick. Wenn die Sparren und Latten sich zeigen und die Balken bloß liegen. Ein verstörender Anblick, selbst wenn das Dach nur neu gedeckt wird und die alten Ziegel verschwinden müssen.

 Ruth Rousselange

Ruth Rousselange

Foto: SZ/Robby Lorenz

Und auch, wenn es sich lediglich um das Scheunendach handelt. Sieht man den Himmel durch die Sparren, die wie ein banges Gerippe wirken, und betrachtet die vorbeiziehenden Wolken, fühlt man sich selbst ganz entblößt und ausgestellt. Irgendwie ungut, so als säße man beim Arzt und hätte diffuse Symptome und der Herr Doktor erklärte einem, man litte vor allem an Einbildung und Unterforderung. Man solle sich doch einfach mal mit was Handfestem beschäftigen, wie Holz hacken oder Hecken schneiden. Oder ein Dach decken. Ja, ja, aber das Dach, wie muss es sich wohl fühlen, wenn es abgedeckt wird, bevor es neu gedeckt wird? Seiner Ziegel beraubt, nackt, gewichtslos, aller Unbill der Naturgewalten ausgesetzt. . .?

Die Katzen hocken da, wundern sich, schütteln verstört die Köpfchen und sind auch etwas sauer: Ihr Schlafplatz ist jetzt Wind umtost und wird gelegentlich unangenehm feucht. Veränderungen sind ihnen sowieso äußerst zuwider, zumal solche, bei denen man sie nicht zu Rate gezogen hat. Plötzliche Nässe finden Katzen per se unzumutbar. Ein Haus ohne Dach, das ist wie eine Kanne ohne Kaffee, wie eine Wiese ohne Blumen, wie eine Katze ohne Schnurren.

Außerdem, um nochmal auf den Arzt zurückzukommen: So ein Arzt weiß ja eben nicht alles und hat wahrscheinlich höchst selten Ziegel in der Hand. Schon gar keine alten, verwitterten, die zwar perfekt geformt und schön, aber porös sind. Und das Wetter durchlassen und dabei immer löchriger werden. Das Schöne, es ist vielleicht nicht stets auch das Optimale. Aber es tröstet, so lange es noch auf dem Dach liegt. . .

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